Österreich hat sie schon beschlossen, Deutschland diskutiert sie – die Impfpflicht. Doch ist eine hohe Durchimpfungsrate wirklich die Allzweck-Lösung im Kampf gegen das Coronavirus? Das Beispiel von Portugal zeigt, dass das nicht so einfach zu beantworten ist.
Das Land hat zwar die höchste Impfquote in ganz Europa, wegen der steigenden Fallzahlen erklärte die Regierung letzte Woche aber erneut den Notstand.
Seit dem 1. Dezember gilt in Innenräumen wieder eine Maskenpflicht. Der Zutritt zu Bars, Diskotheken, Spitälern, Pflegeheimen und Grossveranstaltungen ist nur mit 2G-Plus möglich – wer geimpft oder genesen ist, muss also zusätzlich einen negativen Test vorlegen. Das gilt auch für die Einreise ins Land.
Und: Nach Weihnachten wird die Bevölkerung für eine Woche in den Lockdown geschickt. Inzwischen steht das Land auch wieder auf der Quarantäneliste vom Bundesamt für Gesundheit. Vor wenigen Wochen wurde Portugal noch für die hohe Impfquote und die wenigen Massnahmen als Vorbild gefeiert. Und nun der Notstand. Was ist da los?
«Aus Fehlern gelernt»
Der Arzt und ehemalige Nationale Gesundheitsdirektor Francisco George (74) sieht in den neuen Massnahmen kein Versagen der Corona-Strategie Portugals. Ganz und gar nicht. Das Land will nur Schlimmeres verhindern. «Die Regierung hat aus ihren Fehlern des letzten Winters gelernt», sagt er zur «Welt». Denn während der Weihnachtsfeiertage 2020 verlor Portugal komplett die Kontrolle über die Situation – zeitweise verzeichnete das Land, im Verhältnis zur Bevölkerung, die meisten Corona-Toten weltweit.
Daraufhin startete die Regierung eine erfolgreiche Impfkampagne. Das Ergebnis: Trotz steigender Infektionszahlen müssen deutlich weniger Menschen im Spital behandelt werden als noch vor einem Jahr. Das Gesundheitssystem sei derzeit noch weit von einer Überlastung entfernt, sagt George.
Bevölkerung zeigt Verständnis
In Portugal ziehen nun alle an einem Strang. Selbst die Opposition ist mit dem geplanten Lockdown einverstanden, sagt Ricardo Baptista Leite, Sprecher für Gesundheitsangelegenheiten der christlich-konservativen Oppositionspartei PSD, gegenüber dem Onlineportal.
Die Bevölkerung habe auf die neuen Massnahmen mit Verständnis reagiert. Auch gegen die Einführung des 2G-Plus-Konzepts habe es keinen Widerstand gegeben, sagt er. Der Grund: «Die Menschen fühlen sich jetzt sicherer, wenn sie zu Veranstaltungen gehen, und die Unternehmer freuen sich, weil ihre Geschäfte offen bleiben.»
Impfung allein reicht nicht
Für Leite ist aber klar, dass es mit zwei Impfungen nicht getan ist: «Die zusätzlichen Sicherheitsmassnahmen sind nötig, um das Gesundheitssystem nicht zu überlasten.» Gleichzeitig sei es wichtig, dass die Regierung eine dauerhafte Impf-Infrastruktur aufbaue, um der Bevölkerung weitere Impfungen zu ermöglichen.
Doch bereits jetzt gebe es im Land eine kleine Gruppe, die zwar zweimal geimpft ist, mit dem Boostern nun aber zögert, sagt Leite. Die Nachricht an die Bevölkerung müsse nun eindeutig sein: «Impfungen retten Leben.» (bra)