Oleg B.* wusste, was er wollte: Freiheit. Raus aus dem russischen Gefängnis, in dem er wegen Suchtmittelvergehen gesessen hatte. Als Leute der Gruppe Wagner seine Strafkolonie aufsuchten, um Rekruten anzuwerben, versprachen sie einen Deal: Wer sechs Monate überlebt, wird amnestiert. B. willigte ein.
Nur einen Monat lang sei er nach seinem Rekruten-Training im besetzten Luhansk in der Ostukraine im Einsatz gewesen, davon zwei Tage in den Gräben der ersten Linie. Kurz vor Weihnachten wurde er von Ukrainern gefangen genommen.
Die Tageszeitung «Die Welt» hat Oleg B. im Kriegsgefangenenlager in der Westukraine getroffen. Er war vorab informiert worden, dass ihn Journalisten aufsuchen würden und entschied sich dafür, mit ihnen über die Wagner-Truppe und seine Kriegszeit zu sprechen.
Russische Privatarmee aus Gefängnis-Insassen
B. kämpfte für die Söldnertruppe von Jewgeni Prigoschin (61). Schon vor Russlands Angriff auf die Ukraine kämpfte die Privatarmee jahrelang in russischem Interesse im Ausland: in Syrien, im Sudan, in der Zentralafrikanischen Republik, in Madagaskar, Libyen, Venezuela, Mosambik und Mali – ohne, dass ihre Verluste in offizielle Statistiken einfliessen. Dazu verfügt Wagner über exklusiven Zugang zu schwerem Gerät aus staatlichen Ressourcen.
Im Krieg gegen die Ukraine wurden Wagner-Söldner schnell an die vorderste Front geschickt. Schon bald sollte der Wagner-Chef seine Truppen ausbauen und erhielt sogar die Lizenz, in russischen Gefängnissen zu rekrutieren: Mörder, Diebe, Betrüger, Schläger oder Drogenhändler – so auch Oleg B. Alle dürfen für Wagner in die Schlacht ziehen.
Für die Wagner-Söldner gilt die Genfer Konvention zum Schutz von verwundeten und kranken Militärpersonen nicht, sondern ausschliesslich für Soldaten regulärer Armeen.
Wagner-Söldner als Kanonenfutter
In der Ukraine habe er nichts als Wagner-Kämpfer gesehen, sagt B. Von seiner Ausbildung in der Ostukraine, der Logistik im Hintergrund bis hin zur Front: Nichts als Wagner-Kämpfer, keine regulären Soldaten, berichtet B. Denn Wagner sei dazu da, der regulären Armee den Weg zu ebnen, sagt er.
Prigoschin habe dafür rund 30'000 Männer aus russischen Gefängnissen heraus rekrutiert. Bereits 80 Prozent seien laut ukrainischen Schätzungen in der Ukraine gefallen, verwundet oder gefangen genommen worden. B. sagt, aus seiner 50 Mann starken Gruppe sei er vermutlich der einzige Überlebende: «Wir haben gewusst, dass wir Fleisch sind, und dem zugestimmt.» (hei)
* Name geändert