Jewgeni Prigoschin (61) platzt der Kragen. Seit Monaten versuchen seine Söldner, die umkämpfte Stadt Bachmut zu erobern – bislang ohne Erfolg. In einem Video, das auf Telegram veröffentlicht wurde, spricht der Wagner-Boss vor Journalisten und Militärbloggern Klartext – und kritisiert dabei die russische Militärführungsriege um Verteidigungsminister Sergei Schoigu (67) mit deutlichen Worten. Blick fasst die wichtigsten Aussagen des Söldnerführers zusammen.
Wie ist die aktuelle Lage in Bachmut?
Aktuell seien rund 90 ukrainische Bataillons in Bachmut im Einsatz. Laut Prigoschin wären das 40'000 bis 50'000 Soldaten, gegen die seine Männer anzukämpfen versuchen.
«Wir rücken jeden Tag 50 bis 100 Meter vor. Die Kämpfe laufen um jedes Haus, um jeden Quadratmeter», erklärt der frühere Cateringunternehmer, der einst als «Putins Koch» bekannt wurde. Er ergänzt: «Der Feind hat sich vorbereitet.»
Warum konnte die Wagner-Gruppe Bachmut noch nicht erobern?
Prigoschin hat die Schuldigen für den Misserfolg bereits ausgemacht. Er holt zu einer verbalen Breitseite gegen die russische Militärführung aus. «Wir kommen nicht so schnell voran, wie wir es gern hätten», gibt er zu.
«Wir hätten Bachmut noch vor Neujahr einnehmen können, wenn unsere schreckliche Kriegsbürokratie nicht wäre. Und man uns nicht jeden Tag Steine in den Weg legen würde», beklagt er. «Andere Einheiten», gemeint ist das russische Militär, seien nicht aktiv genug.
«Wenn wir heute drei bis fünf Wagner-Gruppen hätten, würden wir im Dnepr schon die Socken waschen», so der Wagner-Chef. Dann schiesst er gegen Verteidigungsminister Schoigu und den Leiter der «Spezialoperation», Waleri Gerassimow (67) – ohne direkt ihre Namen zu nennen. «Von Country Clubs und 500 Quadratmeter grossen Büros aus, während einer Verjüngungsmassage oder sonst einer kosmetischen Behandlung, ist es nicht möglich, die Soldaten im Krieg zu führen», sagte Prigoschin.
Wenn in der Armee mit der «Arschkriecherei» und «der übermässigen Beamten-Ehrerbietung» aufgehört werde, dann werde die Effektivität der Einheiten zig-mal höher sein.
Schoigu und Prigoschin sind schon länger zerstritten. Immer wieder wetterte der Söldner-Chef öffentlich gegen den Verteidigungsminister und ehemaligen Armeegeneral.
Im Video nennt Prigoschin einen weiteren zentralen Faktor: Die Ukraine ist den Russen in einem Punkt besonders überlegen. «Die grösste Schwierigkeit ist die enorme Anzahl an Artillerie. Der Feind spart nicht an Munition. Wir müssen dasselbe tun», fordert Prigoschin.
Wie könnte es weitergehen?
Der zwielichtige Geschäftsmann wagt eine Prognose. «Bachmut wird im März oder April fallen, wenn man aufhört, die Wagner-Gruppe ausbluten zu lassen», erklärt er. Aber: Das komme auch auf die neuen Waffen darauf an, die die Ukrainer jetzt geliefert bekämen.
Eine Vielzahl von Ukraine-Alliierten haben sich zur Lieferung schwerer Kampfpanzer bereiterklärt. Aktuell debattieren die westlichen Partner ausserdem über die Aushändigung von Kampfjets. Gleichzeitig droht der Ukraine wegen der neuerlichen russischen Offensive die Munition auszugehen.
Um dem russischen Ansturm standhalten zu können, benötige die Ukraine in Zukunft noch mehr Patronen, Granaten und Raketen, erklärte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg (63) in dieser Woche. Deshalb wollen die Nato-Staaten und ihre Verbündeten die Produktion und Lieferung massiv ausweiten.
Warum ist Bachmut so wichtig für beide Seiten?
«Wir brauchen Bachmut, um die ukrainische Armee komplett lahmzulegen», erklärt Prigoschin. Die Ukraine versucht aber mit aller Macht, die Stadt zu halten. «Der Grund, warum sich die Ukraine so daran klammert, ist unter anderem die Moral. Wenn Bachmut nicht fällt, bleibt die Kampfmoral sehr hoch», glaubt der Wagner-Boss.
Russlands Präsident Wladimir Putin (70) hat sich nach Informationen der US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) vorgenommen, Bachmut bis zum Jahrestag der Invasion am 24. Februar einzunehmen. Die Militärexperten halten es allerdings für unwahrscheinlich, dass eine Eroberung Bachmuts bis dahin gelingt. Um Bachmut innerhalb der wenigen Tage einnehmen zu können, müssten die russischen Streitkräfte deutlich mehr Ressourcen investieren.
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Die Experten sehen das jedoch unrealistisch. Die einzige Möglichkeit für sie, die Stadt einzunehmen, wäre, wenn sich die Ukrainer aus der Stadt zurückziehen würden.
Einige Experten sehen in Bachmut einen wichtigen Verkehrsknotenpunkt. Andere wiederum betrachten Bachmut als entscheidendes Puzzleteil in der Eroberung des Oblast Donezk oder als Eckpfeiler der ukrainischen Frontlinien im Osten des Landes. Der ehemalige ukrainische Oberst Sergei Grabski hat eine andere Theorie. Er geht davon aus, dass es den Russen, allen voran den Wagner-Söldnern, vor allem um eines geht – ums Geld. Wird Bachmut erobert, winkt eine hohe Prämie.