Virologin Eckerle warnt vor Corona-Herbst
«Wir sehen wieder mehr Fälle in der Notaufnahme»

Steigende Infektionszahlen und neue Varianten – das Coronavirus ist immer noch präsent. Die Virologin Isabella Eckerle warnt davor, jetzt den Infektionsschutz zu vernachlässigen.
Publiziert: 25.08.2023 um 11:16 Uhr
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Aktualisiert: 25.08.2023 um 11:43 Uhr
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Die Virologin Isabella Eckerle warnt davor, dass das Coronavirus gemeinsam mit anderen Viruserkrankungen das Gesundheitssystem im Herbst belasten könne.

Das Coronavirus ist nicht mehr die grösste Sorge der Bevölkerung. Doch das Virus ist noch nicht verschwunden, und es birgt Gefahren, warnt die deutsche Virologin Isabella Eckerle (42). Neue Varianten und geringer Infektionsschutz können im Herbst zu einer Belastung des Gesundheitssystems führen.

Die Virologin, die in Genf forscht und lehrt, erklärt im Interview mit dem «Spiegel», wie sich die Lage entwickeln könne. Besondere Aufmerksamkeit erfordere die neue Virusvariante BA.2.86, die auch in der Schweiz aufgetaucht ist. «Erstaunlich ist, wie viele Mutationen diese neue Variante hat.»

Sie unterscheide sich so stark von Omikron, wie sich Omikron von seinen Vorgängern unterschieden hat. Somit geht man derzeit davon aus, dass BA.2.86 eine «deutliche Immunflucht aufweisen wird». Im Klartext: Unsere Antikörper werden Schwierigkeiten haben, diese neue Variante zu erkennen. Damit könne es vermehrt zu Ansteckungen und Erkrankungen kommen. 

Mehr Spitalaufnahmen

Daneben kursiert derzeit auch die neue Omikron-Variante EG.5. Auch diese Variante kann einen Anstieg an Erkrankungen herbeiführen. Wird es nun problematisch? «Vor vier Wochen hätte ich noch gesagt, dass wir mit den deutlich mutierten Varianten wahrscheinlich durch sind», meint Eckerle.

Laut der Virologin machte es den Eindruck, als ob das Virus nahezu alles ausgereizt habe, um zu mutieren. «Aber jetzt passiert wieder etwas, wir sehen mehr Fälle in der Notaufnahme, mehr Krankenhausaufnahmen.»

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«Die Pandemie hat auch die anderen Viren durcheinandergewürfelt.»
Isabella Eckerle, Virologin
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Auf Blick-Nachfrage äussert sich das Bundesamt für Gesundheit (BAG) zur Lage in der Schweiz: Die Viruslast im Abwasser liege in den meisten Anlagen auf niedrigem Niveau. Seit Mitte August beobachtet das BAG allerdings «einen leicht steigenden Trend», der mit einer Zunahme an Spitalaufnahmen einhergehe.

Immunität nicht «auf null»

Eckerle fällt eine Prognose schwer: Das Virus werde «weiterhin bestimmte Gruppen schwer krank machen und Komplikationen verursachen; wir verstehen immer noch nicht den Mechanismus dahinter». Wahre Stabilität sei noch nicht erreicht. Eckerle: «Ich glaube, das Virus ist noch nicht fertig mit uns.»

Zu düster seien die Aussichten für den Herbst und Winter allerdings nicht. Mit einer Variante, die «unsere Immunität auf null setzt», sei nicht zu rechnen. Demnach werden man die Intensivstationen nicht voll mit Corona-Patienten haben. «Aber die Mischung aus Sars-CoV-2, Influenza, RSV und den saisonalen respiratorischen Viren kann sehr wohl das Gesundheitssystem belasten.»

Laut Eckerle werde es weniger ganz schwere Infektionen wie zu Anfang der Pandemie geben, aber «dafür eben sehr viele Infektionen, in allen Bevölkerungsgruppen». Die Konsequenz: Personalausfälle, mehr Long-Covid-Fälle sowie Engpässe in Spitälern, Praxen und im Notfall.

Dennoch bleibe das Virus unberechenbar. Im Gegensatz zur Influenza, bei der man in der Regel weiss, wann Wellen kommen und abebben, könne bei Corona keine Rede von Saisonalität sein. Hinzu kommt, dass «die Pandemie auch die anderen Viren durcheinandergewürfelt hat». So gab es vergangenes Jahr eine frühe Influenzawelle und atypische RSV-Wellen in der warmen Jahreszeit bei Kindern.

«Der totale Wahnsinn»

Eckerles Fazit: «Wir sind schon für den nächsten Winter mit einer neuen Corona-Variante, RSV und Influenza nicht gut gerüstet.» Man verfüge zwar inzwischen über das Wissen und die Werkzeuge, um weiteren Viruswellen zu begegnen, aber man nutze es nicht. «Auch deswegen, weil im letzten Jahr ein Narrativ geschaffen wurde, demzufolge alle Massnahmen und auch die Impfungen übertrieben oder sogar schädlich gewesen seien – was einfach nicht stimmt!»

Deshalb plädiert Eckerle weiterhin dafür, in öffentlichen Verkehrsmitteln oder Arztpraxen, eine Maske zu tragen. «Es ist doch der totale Wahnsinn, dass sich im Winter 10, 15 erkrankte Menschen in ein Wartezimmer setzen, die untereinander ihre Viren austauschen und sich dann wieder in alle Winde verstreuen.» (bab)

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