Die dörfliche Ruhe in Campobello di Mazara (I) ist dahin. Carabinieri in Uniform sowie Männer der Spezialeinheit gegen organisierte Kriminalität der Guardia di Finanza ziehen durch das Labyrinth der Gassen des Ortes mit 11'500 Einwohnern. Kriminaltechniker in weissen Schutzanzügen sichern Spuren. Journalisten halten Passanten und Anwohnern ihre Mikros unter die Nase. Doch niemand will etwas wissen.
Genau 30 Jahre lang war Matteo Messina Denaro (61) auf der Flucht. Am Montag, 16. Januar 2023, wird der Superboss während einer morgendlichen Chemotherapie in der privaten Krebsklinik La Maddalena in Palermo festgenommen. Sofort heften sich die Fahnder auf seine Spur. Wo war Matteo Messina Denaro all die Jahre? Und wer half ihm bei der Flucht? Nun enthüllt die Polizei neue Details zum Superboss der Cosa Nostra: Im Fokus ist einmal mehr die Schweiz.
In der Tasche der Felljacke von Denaro finden die Carabinieri einen digitalen Autoschlüssel. Schnell wird der schwarze Alfa Romeo Giulietta geortet. Er steht in Campobello di Mazara in der Provinz von Trapani. Das ist ein Ortsteil von Castelvetrano, Geburtsort und Reich des einstigen Mafiakönigs. Dank der GPS-Technologie können die letzten Fahrten rekonstruiert werden. Sie verrät die Verstecke des Flüchtigen. Eines nach dem anderen. Davon berichten italienische Medien.
Wohnungen von zwei «Schweizern» durchsucht
So steht bald fest: Die vergangenen vier Jahre verbrachte Italiens meistgesuchter Mafiaboss in seiner Heimatstadt. Mehrere Häuser werden durchsucht. Darunter zwei von Antonio M.* (77), einem Mafia-Anwalt, der 1993 in einer Tessiner Pizzeria verhaftet worden ist. Er soll Schwarzgeld des Superbosses auf Luganeser Konten gewaschen haben. Ob Matteo Messina Denaro vorübergehend auch in dessen sizilianischen Sommersitzen hauste, ist noch nicht geklärt. Aber es taucht noch ein anderer «Schweizer» auf. Giuseppe P.* (77) hat offenbar bis Juni 2022 eine Wohnung seines Mehrfamilienhauses in Campobello di Mazara dem Mafiaboss zur Verfügung gestellt.
Die Wohnung im ersten Stock der Via San Giovanni 260 ist leer, als die Beamten sie öffnen. Eine Nachbarin berichtet, Giuseppe P. sei bereits vor 40 Jahren in die Schweiz gezogen. Von Matteo Messina Denaro will sie nichts bemerkt haben. Nebenan, in Hausnummer 262, wohnt der Mann, der den Superboss am Montag in seinem Fiat Bravo in die Privatklinik gefahren hatte. Die Polizei glaubt nicht an einen Zufall.
Bunker hinter Kleiderschrank gefüllt mit Schmuck und Uhren
Matteo Messina Denaro hat zwei weitere Verstecke benutzt. Allesamt befinden sie sich in einem Umkreis von nur wenigen Hundert Metern. Zwischen Post, Piazza, Supermarkt, Dorfbeiz und Hausarzt. Im Erdgeschoss des Vicolo San Vito hatte sich der Superboss in den sechs Monaten bis zu seiner Verhaftung verkrochen. An der Wand hängt ein Poster von Marlon Brando als Hauptdarsteller in «Der Pate». Es liegen Bücher herum, darunter Biografien von Hitler und Putin.
Während einer Hausdurchsuchung in der Via Toselli Maggiore 34 entdecken die Ermittler hinter einem Kleiderschrank einen Bunker gefüllt mit Designerklamotten und Markenschuhen, Juwelen, Ray-Ban-Sonnenbrillen, Parfums, Kreditkarten – und Schweizer Luxusuhren.
*Namen der Red. bekannt