Es ist ein juristischer Streit der skurrileren Art, über den das «St. Galler Tagblatt» am Freitag berichtet: Zwei Paare, die genau übereinander in einem Terrassenmehrfamilienhaus wohnen, liefern sich einen heftigen und dauerhaften Nachbarschaftsstreit. Dieser eskalierte inzwischen so krass, dass sich die Gerichte mit dem Zoff befassen müssen. Ein erstes Gerichtsverfahren wurde nun am Kreisgericht Wil in Flawil SG verhandelt, zwei weitere Verhandlungen sind bereits angesagt.
Doch wie kam es überhaupt zur Feindschaft im Mehrfamilienhaus? Alles begann mit einer Anzeige beim Tierschutz St. Gallen. Das in dem Verfahren als Privatkläger auftretende Paar liebt seinen Hund nach eigenen Angaben «abgöttisch». Die Frau des gegnerischen Paares war der Meinung, dass die Kläger zu wenig mit ihrem Jagdhund spazieren gingen. Sie und ihr Mann machten dies anhand des mit Hundekot übersäten Gartens der Kläger fest. Also verständigten sie den Tierschutz.
Hund sei «Heimkacker»
Nach den Worten des Anwalts der Kläger stellt sich die Sache aber ganz anders dar. Die Beschuldigte habe mit der Anzeige erreichen wollen, dass man dem Paar den «besten Freund» wegnehme. Ihr Hund sei ein «Heimkacker», so die Privatklägerin. Das mit dem «grossen Geschäft machen» sei nicht so einfach. «Sie können zwei Stunden lang mit ihr laufen gehen – ihr Geschäft verrichtet sie immer zu Hause im Garten.»
Es ging am Donnerstag aber auch um andere Kleinigkeiten. Der Kläger-Anwalt legte nach. «Die Beschuldigten plagen die Privatkläger bis aufs Blut. Die Vorwürfe reichen von Sachbeschädigungen, Beschimpfungen, Drohungen, Hausfriedensbrüchen, Diebstählen bis hin zu Tätlichkeiten und Körperverletzungen.» Sowas kenne man «nur aus Hollywood». Die gesamte Wohnanlage sei mit unzähligen Kameras ausgestattet. «Jeder Bewohner filmt aus seiner Haustüre hinaus und überwacht die Nachbarn.»
Die Kläger warfen dem Beschuldigten unter anderem vor, zwei Deko-Elefanten zerstört und «Plakate an Fenstern angebracht» zu haben. Ferner soll er an der Wohnungstür der Privatkläger fortwährend geläutet, direkt vor der Tür Laub abgelagert und den Rollladen und die Terracottafliesen der Privatkläger mit einer unbekannten Flüssigkeit verschmutzt haben. 19'600 Franken Schadenersatz und eine Genugtuung von 2000 Franken forderten die Privatkläger für das Rowdytum des Nachbarn.
Richterin fordert «Waffenstillstand»
Die Richterin zeigte sich über den Nachbarschaftsstreit schockiert. «Ich finde es unglaublich, was bei Ihnen zu Hause abgeht. Ich würde dort nicht wohnen wollen. Das, was bei Ihnen abläuft, ist Terror», sagte sie zum Abschluss der Verhandlung. «Ich kann Ihnen nur empfehlen, sofort damit aufzuhören. Vielleicht sollten Sie sich alle professionelle Hilfe holen», ergänzte sie. «Denn wie wollen Sie ansonsten so weiterleben? Das ist doch keine Lebensqualität.»
Ihre Empfehlung: «Sie müssen keine Freunde werden, aber ein dauerhafter Waffenstillstand wäre doch auch etwas.» Die meisten angeklagten Tatbestände hatte sie zuvor zurückgewiesen – aufgrund mangelnder Beweise. Die Beschuldigte wurde von den Vorwürfen der falschen Anschuldigung und der mehrfachen Drohung freigesprochen.
Der Beschuldigte wurde seinerseits von den Vorwürfen der Sachbeschädigung, mutwilligen Belästigung, mehrfachen geringfügigen Sachentziehung und Hausfriedensbruch freigesprochen. Für das deponierte Laub, das Werfen von Scherben vor die Wohnungstür der Privatkläger und den Diebstahl eines Paars Laufschuhe muss er dem klagenden Paar jedoch je 660 Franken zahlen. Von den Prozesskosten in Höhe von 2350 Franken muss er ein Viertel (587 Franken) zahlen, den Rest übernimmt der Staat.
Nachbarschaftsstreitigkeiten sind in der Schweiz keine Seltenheit, Blick hat unzählige von ihnen dokumentiert. Dabei geht es unter anderem um Vierbeiner, Pflanzen oder Gartenzwerge. Nicht selten kommt es zwischen den Streithähnen auch zu Handgreiflichkeiten oder Schlimmerem. Anfang November etwa attackierte ein Waadtländer seine Nachbarin mit einer Schneefräse.