Sie hoffen und warten. Doch für einige Angehörigen der in den Gazastreifen verschleppten israelischen Geiseln wird das Bangen bald ein Ende haben. Um 15 Uhr (Schweizer Zeit) sollen die ersten 13 Personen freigelassen werden, darunter Frauen und Kinder. In den kommenden Tagen sollen weitere folgen.
Die Vorbereitungen, die freigelassene Geiseln aus Gaza zu empfangen, seien abgeschlossen. Das teilt die israelische Armee auf X mit. So habe man für die Erstaufnahme mehrere Standorte eingerichtet, wo den Geiseln die notwendige medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt wird. Anschliessend werde man die Geiseln in Spitäler bringen.
Nachdem das Rote Kreuz die Geiseln an die israelische Armee übergibt, kommen sie in sechs Spitäler. Für die Zeit während und nach der Befreiung hat das Gesundheitsministerium Israels strikte Protokolle zum Umgang mit den Geiseln herausgegeben. Blick liefert eine Übersicht.
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Jeder Geisel wird ein Soldat zugeteilt
Das Militär stellt jedem Kind oder jeder Familie einen Soldaten zur Seite. Bei der ersten Kontaktaufnahme sollen sich die Soldaten ausweisen und beruhigend auf das Kind oder die erwachsene Person einreden. Berühren oder an der Hand nehmen dürfen sie es nur mit dessen Einverständnis. Ansonsten muss der Soldat genau erklären, was er tut und warum. Zudem wollen erwachsene Geiseln vielleicht gar nicht, dass man sie berührt.
Wenn die Kinder, die ohne einen oder beide Elternteile sind, Fragen wie «Wo ist Mama?» oder «Wo ist Papa?» stellen, sollten Soldaten diese Fragen nicht beantworten, auch wenn sie die Antworten kennen», heisst es in den Leitlinien. Wie sollen die Soldaten stattdessen antworten? Vorgeschlagen werden Antworten, wie «Tut mir leid, Süsse. Ich weiss es nicht. Meine Aufgabe ist es, dich nach Israel zu bringen, an einen sicheren Ort, wo dir Menschen, die du kennst, alle deine Fragen beantworten können.»
Geiseln bekommen Koffer mit Kleidung oder Spielzeug
In den Spitälern werden die Geiseln und ihre Familien in separaten Bereichen untergebracht. Ihre Privatsphäre soll gewahrt werden. Die Medien bekommen in dieser Phase keinen Zutritt zu den abgeschirmten Bereichen. Später könnten die Patienten selbst entscheiden, ob sie Interviews geben wollen oder nicht, sagte Bar Siman-Tov, Direktor des Gesundheitsministeriums, einem hebräischen Nachrichtensender.
Die israelischen Behörden haben bereits nach dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober begonnen, so viele Informationen wie möglich über die entführten Personen zu sammeln. Das Forum für Geiseln und vermisste Familien hat für jede Geisel eine Krankenakte zusammengestellt, die den entsprechenden Spitälern zur Verfügung gestellt wird. Kleine Koffer mit Kleidung, persönlichen Gegenständen und Spielzeug werden vorausgeschickt.
Ärztinnen dokumentieren Anzeichen von Vergewaltigung und Folter
Ärztinnen bekamen vom israelischen Gesundheitsministerium den Auftrag, Frauen und Kinder behutsam zu untersuchen und danach mögliche Anzeichen von Vergewaltigung oder Folter zu dokumentieren. Stellen die Ärzte entsprechende Spuren fest, müssen sie sich sofort an geschultes Fachpersonal wenden. Dieses entscheidet dann, ob eine Befragung zu diesem Zeitpunkt möglich ist oder ob das Risiko eines weiteren Traumas besteht.
Später bekommen die befreiten Personen und ihre Familien einen persönlichen Sozialarbeiter oder Psychologen zur Verfügung gestellt. Die Fachleute helfen den Opfern beim Resozialisierungsprozess. Hagai Levine vom Forum für Geiseln und vermisste Familien sagte gegenüber «Times of Israel», dass die Kontinuität der Betreuung entscheidend ist.
«Wenn eine Fachkraft die Familie einer Geisel seit dem Beginn dieser Tortur unterstützt hat, sollte sie sie auch weiterhin bis zum Ende des Prozesses begleiten. Und wenn jemand anfängt, mit einer ehemaligen Geisel zusammenzuarbeiten, dann muss diese Beziehung über einen längeren Zeitraum bestehen», sagte er.
Vermeidung von Überernährung
Zur Ernährung der Geiseln gaben die Behörden ebenfalls strikte Protokolle heraus. Denn: Die Geiseln werden wahrscheinlich unterernährt nach Israel zurückkehren. Leitlinien sollen das Refeeding-Syndrom verhindern, ein potenziell tödlicher Zustand, der dadurch verursacht wird, dass eine unterernährte Person zu schnell zu viel Nahrung und Flüssigkeit erhält. Das bedeutet, dass die Patienten zu Beginn reduzierte Nahrung erhalten, die stetig erhöht wird.