Ein Deal zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas scheint immer realistischer. Sechs Seiten sei ein Papier mit möglichen Kompromissen lang, berichtet die «Washington Post». Das US-Blatt beruft sich auf anonyme Quellen aus Gaza. Es enthalte Lösungsvorschläge für die Freilassung der Geiseln und für eine Feuerpause. Das bestätigen immer mehr Insider – ob aus den USA, aus Katar, aus Israel oder aus palästinensischen Kreisen.
Noch nie sei man einer Einigung so nah gewesen wie jetzt, sagt der US-Sicherheitsberater Jonathan Finer (47) am Sonntag in einer CNN-Sendung. Es handle sich um Stunden, höchstens Tage. Ein Hamas-Vertreter wurde gegenüber der jordanischen Zeitung «Al Ghad» sogar noch deutlicher, wenn auch etwas voreilig. Am Montag, dem 20. November, um 11 Uhr würden die Waffen ruhen, so der Informant.
Zeitgleich prognostiziert auch der ehemalige israelische Botschafter in den USA, Michael Herzog (71), im amerikanischen TV-Sender ABC die Freilassung eines grossen Teils der israelischen Geiseln noch in dieser Woche. Katars Premierminister Mohammed Bin Abdulrahman Al-Thani (43) erklärte während einer Pressekonferenz mit dem EU-Chefdiplomat Josep Borell (76), man müsse nur noch logistische Feinheiten klären.
Geiseln gegen Feuerpause und Treibstoff
Doch über diese «Feinheiten» streiten die Parteien. Laut einem palästinensischen Insider gibt es seitens der Hamas zwei Vorschläge, schreibt die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua: Die Terrororganisation lässt 53 Frauen und Kinder frei in einer dreitägigen Waffenruhe gegen eine gewisse Menge an Treibstoff für den Gazastreifen. Oder: Die Freilassung von 87 Geiseln in fünf Tagen Feuerpause und noch mehr Treibstoff.
Mehr zum Geisel-Deal in Gaza
Zudem fordert die Hamas vorab die Entlassung von palästinensischen Frauen und Minderjährigen aus israelischen Sicherheitsgefängnissen. In der Feuerpause dürften auch keine israelischen Aufklärungsdrohnen Gaza überfliegen, die die Verstecke der Geiseln aufdecken könnten.
Die Feinheiten verschleppen die Unterzeichnung des lang ersehnten Deals. Israel will keinen Waffenstillstand, allenfalls kurze Feuerpausen. «Nur wenn alle Geiseln freikommen, käme es zu einer mehrtägigen Waffenruhe», sagte der Chef des israelischen Sicherheitsrates, Tzachi Ha-Negbi (66) gegenüber der heimischen Presse. Danach gehe der Krieg weiter, bis die Ziele erreicht seien.
Unter den Geiseln viele mit ausländischem Pass
Doch der Druck auf Israel wächst. Und auch auf die Hamas. Viele Geiseln kommen aus anderen Ländern wie den USA, Deutschland, Grossbritannien, Frankreich und Russland. Allein 23 Geiseln sind thailändische Feldarbeiter. Jedes Land verhandelt um die eigenen Opfer. So habe die Hamas gegen eine fünftägige Waffenruhe auch die Freilassung von 34 Ausländern angeboten, heisst es US-Medien.
Der Krieg in Gaza forderte bislang laut der palästinensischen Gesundheitsbehörde über 12'500 Todesopfer und 30'000 Verletzte. Die meisten Opfer sind Zivilisten, darunter viele Kinder. Die Versorgungslage der Bevölkerung ist dramatisch. Humanitäre Hilfe wird immer dringender. Der Blutzoll sei beispiellos in den 120 Jahren des Konflikts zwischen Palästinensern und Juden, sagt Nahost-Experte Khalil Shikaki im «Spiegel»-Interview. Über eine Million Palästinenser haben ihre Häuser verlassen und sind in den Süden des Gazastreifens gezogen.
Das menschliche Leid ist unerträglich und der weltweite Ruf nach einer Kampfpause immer lauter. Unüberhörbar für Israel. Doch am Montag kündigte das Militär weitere Kämpfe in der Umgebung von Gaza-Stadt an. Und im Parlament wurde über ein Gesetz zur Einführung der Todesstrafe für Terroristen debattiert – zum Entsetzen der anwesenden Angehörigen der Geiseln. Sie fürchten, die Diskussion könnten die Verhandlungen mit der Hamas auf den letzten Metern noch gefährden.