Auf einen Blick
- Trump will den Ukraine-Krieg beenden
- Der Republikaner telefonierte mit Wolodimir Selenski
- Experten sind skeptisch über Trumps Friedensversprechen
Was, wenn er es tut? Die Waffenhilfe an Kiew einstellen, auf Verhandlungen mit Moskau pochen, bis alles in einem Diktatfrieden endet. Donald Trump (78) sagte einst, die US-Militärhilfe für die Ukraine sei zu teuer und er wolle den Krieg beenden. Nun kehrt der Republikaner ins Weisse Haus zurück.
Bereits am Mittwoch telefonierte Trump mit Wolodimir Selenski (46). US-Medien berichten, er habe dem ukrainischen Präsidenten versprochen, sein Land nicht im Stich zu lassen. Konkrete Details über eine Friedenslösung seien aber nicht besprochen worden.
Was gilt nun? War Trumps Versprechen, schnell für Frieden zu sorgen, nur Wahlkampfrhetorik? Oder zwingt er der Ukraine einen Diktatfrieden auf? Blick hat mit fünf Expertinnen und Experten gesprochen.
«Kiew kann noch fallen» – Ian Garner, Totalitarismusforscher
Der Sieg von Donald Trump ist der Anfang vom Ende der ukrainischen Hoffnung, die besetzten Gebiete zurückzuerobern. Es könnte sogar zu weiteren russischen Vorstössen kommen, bis hin zum Fall von Kiew. Denn Trump wird die Unterstützung stoppen.
Das ist der billigste und einfachste Weg, wie Trump sein Versprechen einhalten kann, den Krieg zu beenden. Seine Anhänger werden ihn feiern, da die meisten fälschlicherweise glauben, das Schicksal der Ukraine betreffe den Westen nicht. Und Trump wird den Beifall geniessen, der auf ein billiges Friedensabkommen mit Putin folgt.
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Doch dieses Abkommen kann nichts lösen. Ein «eingefrorener» Konflikt gäbe Putin nur Zeit, um einen weiteren Feldzug gegen ein Land zu planen, von dem er glaubt, dass es Teil eines «Grossen Russlands» sein soll. Komme, was wolle.
Viele Ukrainer werden dennoch weiter kämpfen, um ihre Landsleute zu befreien. Denn die russischen Soldaten foltern, vergewaltigen und morden als Mittel der Kontrolle in den besetzen Gebieten. Kiew kann noch fallen, aber der Krieg wird nicht enden, bis das Regime von Wladimir Putin der Geschichte angehört.
«Denkbar wäre ein Bromance-Gipfel mit Putin» – Nicole Deitelhoff, Friedensforscherin
Auch wenn Kamala Harris gewonnen hätte, wäre es für Kiew in jedem Fall schwer. Selbst unter Demokraten schwindet die Unterstützung, und Harris hätte sich mit einem Kongress rumgeschlagen, der republikanisch dominiert ist. Die US-Wahl war so oder so keine gute Nachricht für die Ukraine.
Trump könnte nun Fakten schaffen – und das noch bevor er sein Amt antritt. Denkbar wäre ein Bromance-Gipfel mit Putin, an dem Trump sagt: Du bekommst, was du bisher erobert hast und lässt die Ukraine in Ruhe. Einen besseren Deal gibt es nicht. Ansonsten senden wir der Ukraine alles, was wir haben.
Wir sollten Trump nicht unterschätzen. Er sieht sich als starken Mann, der führen kann, der Veränderung bringt. Trump ist nicht butterweich. Er ist jemand, der aus einer Position der Stärke und nicht der Schwäche handelt.
Selbst wenn die Europäer weiterhin zu Kiew halten, bedeutet das für die Ukraine, dass sie sich auf lange Sicht geschlagen geben muss. Dass sie akzeptieren muss, dass sie Teile ihres Territoriums verliert.
«Putin will nicht mit Selenski verhandeln» – Ulrich Schmid, Osteuropahistoriker
Es ist höchst zweifelhaft, dass Trump den Krieg beenden kann. Trump könnte mit Putin ein zweites Kim-Jong-Un-Erlebnis haben: Trumps Friedensbemühungen mit Nordkorea versandeten 2019.
Aus Trumps Umfeld kommen nun Vorschläge, den Krieg herunterzufahren. Eine solche Lösung ist inakzeptabel für Putin, der klar darauf spekuliert, dass die Ressourcen der Ukraine (und des Westens) schneller erschöpft sind als seine eigenen.
Trump will zwischen Kiew und Moskau vermitteln. Nur schon das lehnt Putin ab. Er will nicht mit Selenski verhandeln, sondern mit Trump. Aus Putins Sicht ist die Ukraine kein Verhandlungssubjekt, sondern ein Verhandlungsobjekt, über dessen Schicksal die beiden Grossmächte USA und Russland entscheiden sollen.
Ein ersatzloses Herunterfahren der US-Militärhilfe für die Ukraine ist unter einer neuen Trump-Administration auch nicht unmittelbar zu erwarten. Die meisten der Kandidaten für den Aussenministerposten halten eine allfällige Niederlage der Ukraine gegen Russland für eine strategische Niederlage der USA.
Gleichzeitig haben diese republikanischen Politiker auch den Fernen Osten im Blick: Eine Schwäche der USA im Ukrainekrieg würde Washingtons Autorität in den Augen Pekings untergraben – und Peking ist aus Trumps Sicht der Hauptgegner der USA, nicht Moskau.
«Trump könnte die Waffenhilfe hochfahren» – Maria Avdeeva, Sicherheitsexpertin
Für Verhandlungen braucht es zwei Seiten – und Putin will den Krieg nicht beenden. Warum sollte er auch? Russland umgeht die Sanktionen, hat mittelfristig genug Waffen und rückt stetig vor. Für die Ukraine sieht die Lage an der Front aktuell düster aus.
Ein Versuch, den Krieg «einzufrieren», wird scheitern. Trump kann die Waffenhilfe stoppen, um Kiew unter Druck zu setzen. Doch das wird Putin erst recht anstacheln, weiter Land zu erobern. Deeskalation führt zu russischer Eskalation. Russland versteht nur Stärke. Der einzige Weg, Putin zu stoppen, ist massive Unterstützung für Kiew. Deshalb glaube ich nicht, dass sich Amerika komplett zurückzieht und die Ukraine fallen lässt.
Es besteht sogar die Möglichkeit, dass Trump die Waffenhilfe am Ende hochfährt und auch Angriffe mit US-Raketen auf russischem Boden zulässt. Dass Trump grundsätzlich als unberechenbar gilt, kann sich als Vorteil für Kiew entpuppen.
«Trump weiss wohl noch nicht, wie er mit der Ukraine umgehen soll» – Marcel Berni, Strategieexperte
Die Regierung von Joe Biden wird alles daran setzen, dass bis zur Amtseinführung von Trump noch möglichst viel US-Hilfe in der Ukraine ankommt. Jenseits der Wahlkampfrhetorik weiss wahrscheinlich auch Trump noch nicht, wie er mit der Ukraine umgehen soll. Zudem steht die Zusammensetzung seines Kabinetts noch in den Sternen. Dennoch dürfte der Ukraine ab dem 20. Januar 2025 ein unberechenbarer Wind aus Washington entgegenwehen.
Über die militärischen Konsequenzen lässt sich derzeit nur spekulieren. Trump hat mehrfach angedeutet, den Krieg in der Ukraine «innerhalb von 24 Stunden» beenden zu wollen. Ein Friedensschluss auf dem Buckel der Ukraine wäre ein Szenario. Ein Einfrieren der gegenwärtigen Front ein anderes. Umgekehrt könnte man argumentieren, dass Trump für die Ukraine einen Ausweg aus der aktuellen amerikanischen Eskalationsangst darstellt. So oder so steht der Ukraine ein sehr harter Winter bevor.