Vanessa L. (†22) wurde von ihrem Stalker (†23) in Hamburg erschossen – jetzt spricht ihre Mutter
«Von seinem Hotelzimmer sah er direkt in die Wohnung meiner Tochter»

In Hamburg ereignet sich am Dienstag ein tragisches Tötungsdelikt. Ein Ostschweizer (†23) lauerte einer jungen Schweizerin im Treppenhaus auf und erschoss sie von hinten. Die Mutter des Opfers ist überzeugt: «Das Ganze war von langer Hand geplant.»
Publiziert: 07.04.2022 um 15:01 Uhr
|
Aktualisiert: 08.04.2022 um 09:17 Uhr
1/11
Mit Erlaubnis der Mutter zeigt Blick die Fotos von Vanessa L. (†22) unverpixelt.
Foto: zVg
Carla De-Vizzi

In Hamburg kommt es am Dienstagmorgen zu einer schrecklichen Bluttat. Ein junger Mann (†23) erschiesst eine junge Frau (†22) in ihrem Wohnblock und richtet sich danach selbst. Bei dem mutmasslichen Täter handelt es sich um den Ostschweizer Julian G.*.

«Er hat meine Tochter neun Monate lang gestalkt», sagt Elisabeth L.* (62), die Mutter von Todesopfer Vanessa L.*, zu Blick. Er habe sich Hals über Kopf in sie verliebt, sie habe aber keine Beziehung gewollt.

Kennengelernt hätten sich die beiden durch ihren Bruder (24): «Mein Sohn ist mit dem Täter zur Schule gegangen.» An einem Abend im letzten Herbst seien sie zu dritt feiern gegangen. Seither habe Julian G. Vanessa belagert. «Er hat ihr ausführliche Liebesbriefe geschrieben, immer wieder angerufen und ihr ellenlange Whatsapp-Nachrichten geschickt. Er war felsenfest davon überzeugt, dass sie die Frau seines Lebens ist», so die Mutter.

Er akzeptierte kein Nein

Ihre Tochter sei am Anfang vom Täter fasziniert gewesen, habe dann aber rasch bemerkt, dass mit ihm etwas nicht stimme, da er stets sehr selbstbezogen reagierte. «Von da an ging sie auf Distanz.» Auch Elisabeth L. lernte ihn kennen. «Ich hatte von Anfang an ein eigenartiges Gefühl bei ihm. Ich weiss nicht, was es war, aber in gewissen feinen zwischenmenschlichen Situationen kam er seltsam kalt und unberechenbar rüber.» Auch ihr Bruder habe Vanessa stark davon abgeraten, eine Beziehung mit G. einzugehen.

Der Täter sei sehr intelligent gewesen, habe gut ausgesehen, trat selbstsicher auf und konnte auch gut schreiben. So auch die Liebesbriefe an ihre Tochter. «Möglicherweise war Vanessa die Einzige, die er nicht bekommen hat.»

Mehrfach habe die junge Frau ihm aber klar gemacht, dass sie keine Beziehung wolle, sich voll und ganz auf ihr Musical-Studium in Hamburg konzentriere – und sonst nichts. Doch Julian G. habe kein Nein akzeptiert, sie immer wieder mit Nachrichten unter Druck gesetzt. «Schon im November stand er ganz unerwartet vor ihrer Tür», erzählt Elisabeth L. und fährt fort: «Sie hat ihm zuvor gesagt, dass sie keinen Kontakt wolle. Das liess er aber nicht auf sich sitzen.»

«Sie hätte ihn nie reingelassen»

Seit November herrschte dann Funkstille zwischen den beiden. Bis kurz vor ihrem Tod. «Er schrieb ihr am Sonntag, dass er sie sehen wolle. Sie hat ihm aber klar gesagt, dass sie keine Zeit habe, da sie für die Prüfungen lernen musste.» Julian G. soll sich in einem Hotel vis-à-vis von Vanessas Wohnhaus eingemietet haben. «Von seinem Hotelzimmer sah er direkt in die Wohnung meiner Tochter», so die Mutter, die erst nach der Tat davon erfuhr. «Hätte ich davon gewusst, hätte ich sofort die Polizei verständigt.»

Am Dienstagmorgen steht Julian G. dann plötzlich vor der Tür der jungen Frau. «Als sie die Wohnungstüre öffnete, passte er sie ab und erschoss sie von hinten.» Das Ganze sei von langer Hand geplant gewesen, ist die Mutter überzeugt. «Exakt eine halbe Stunde vorher ist ihre Mitbewohnerin aus dem Haus. Und genau diese halbe Stunde hat er ausgenutzt.» G. habe gewusst, weshalb er nach Hamburg fuhr. Bei seinem Lehrer habe er sich abgemeldet, da er etwas Wichtiges vorhabe. Seinen Eltern hingegen habe er gesagt, er gehe mit einer Freundin nach Hamburg, um sich ein Musical anzuschauen.

Ob der Täter ihre Wohnung betreten hat, sei laut Polizei unklar. Elisabeth L. ist sich aber sicher: «Sie hätte ihn nie reingelassen. Sie hatte Angst vor ihm.»

Karriere als Musicaldarstellerin vor sich

Die Mutter kann nicht begreifen, warum ihre Tochter sterben musste. «Sie war so ein herzlicher, lieber und unkomplizierter Mensch. Sie hätte nie jemandem etwas zuleide getan, sondern wollte allen immer helfen.»

In drei Wochen hätte sie an der Musicalschule «Stage School» in Hamburg abgeschlossen. «Musical war ihr Leben.» Ihr grosser Traum sei es gewesen, auf der Bühne zu stehen. Vor drei Wochen sei Vanessa noch zu Hause gewesen. «Ich habe ihr noch beim Proben für ihre Abschluss-Aufführung zugeschaut. Jetzt ist sie tot.» Dass ihre Tochter jetzt nicht mehr ihre Träume verfolgen kann, zerreisst der Mutter das Herz. «Sie ist wie eine Blüte, die kurz vor dem Aufblühen sterben musste.»

* Namen geändert

Fehler gefunden? Jetzt melden