Auf einen Blick
Der US-Wahlkampf ist an Dramatik kaum zu überbieten. Beschimpfungen, Gewalt und jetzt sogar schon der zweite Attentatsversuch auf Donald Trump (78) prägen das Rennen ums Weisse Haus. Die Verrohung ist schon fast zur Normalität geworden.
Die Befürchtung von USA-Experten Philipp Adorf (40): Am Tag der Wahl könnte es in den Wahllokalen eskalieren. Wie konnte es so weit kommen?
Bereits zweimal ist gegen Trump ein Anschlag geplant worden. Während ihn am 13. Juli ein Schütze am Ohr traf, konnte am Sonntag ein Angriff verhindert werden. Ein Geheimdienstmitarbeiter entdeckte im Gebüsch beim Trump International Golf Club in West Palm Beach, Florida, einen Schützen, der verhaftet werden konnte.
Trumps scharfer Ton heizt den Wahlkampf an. Seine Behauptung, «in Springfield essen sie Hunde, Einwanderer essen Katzen», versetzte die 60'000 Einwohner zählende Stadt im Bundesstaat Ohio praktisch in den Ausnahmezustand. Die gewaltbereiten, rechtsextremen Proud Boys zogen durch die Strassen, Stadtbewohner mussten unter Schutz gestellt werden.
«Ich hasse Taylor Swift»
Scharf schiessen die Republikaner gegen Popstar Taylor Swift (34), die sich für Kamala Harris (59) ins Zeug legt. «Ich hasse Taylor Swift», schrieb Trump. Warum das? Bei einem Werbe-Post für Harris unterschrieb Swift mit «kinderlose Katzenfrau». Es ist eine Anspielung an die Aussagen von Trumps Vize J. D. Vance (40), der führende Demokratinnen als «einen Haufen kinderlose Katzenladys» bezeichnet hatte.
Auch Tesla-Erfinder und Trump-Freund Elon Musk (53) giesst Öl ins Feuer. Nach dem verhinderten Attentat in Florida schrieb er auf seiner Plattform X: «Es versucht nicht einmal jemand Biden/Kamala umzubringen.» Wegen der Empörung löschte er den Post bald wieder.
Die letzte Chance
Der schärfere Ton und die erhöhte Gewaltbereitschaft seien einerseits Folgen daraus, dass es kein Kandidat schaffe, sich abzusetzen. Andererseits hänge der grobe Umgang mit der Polarisierung und der damit verbundenen Dämonisierung des politischen Gegners zusammen. Dieser Überzeugung ist Philipp Adorf, USA-Experte an der Universität Bonn. Adorf: «Beide Lager sehen nunmehr Wahlen als die potenziell letzte Chance, das Land, seine Kultur und das politische System vor dem Gegner zu retten.»
Adorf verweist auf den ehemaligen republikanischen Präsidentschaftskandidaten Barry M. Goldwater (1909–1998), der 1964 sagte, dass «Extremismus zur Verteidigung der Freiheit ... kein Laster» sei. «Diese Sichtweise hat man sich seitdem im republikanischen Lager zu Herzen genommen, ist aber auch auf demokratischer Seite populärer geworden», sagt Adorf.
Auch bei den Demokraten? Adorf erklärt: «Wir können beispielsweise in Umfragen erkennen, dass auch Anhänger der Demokraten eine geringere Kompromissbereitschaft der eigenen Repräsentanten fordern.»
Nicht matchentscheidend
Adorf glaubt zwar, dass es am Wahltag wegen der aufgeheizten Stimmung zu Einschüchterungsversuchen gegenüber Wahlhelfern oder sogar Attacken auf Wahllokale kommen könnte. Er hält die scharfen Töne und Attentate für die Wahlen aber nicht für matchentscheidend, zumal sich Trumps Wählerschaft schon daran gewöhnt habe.
Heute seien für die Wahlen «Fundamentals» dominierend, also die eigene Parteizugehörigkeit und Faktoren wie der Zustand der Wirtschaft und die Inflationsrate. Adorf: «Aussergewöhnliche Ereignisse besitzen heute eine geringere Relevanz auf den Wahlausgang als vor zwei bis drei Jahrzehnten, als die parteipolitischen Fronten noch nicht so verhärtet waren.»