Auf einen Blick
Donald Trumps (78) ehemaliger Stabschef John Kelly (74) sorgte diese Woche für neuen Zündstoff im US-Wahlkampf. Der «New York Times» sagte er, Trump falle aus seiner Sicht «unter die allgemeine Definition eines Faschisten». Trump würde wie ein Diktator regieren, wenn man ihn liesse, und habe kein Verständnis für das Konzept der Rechtsstaatlichkeit. Blick erklärt, warum die Faschismus-Debatte im US-Wahlkampf gerade jetzt wieder aufflammt.
Kelly verwies auf die Beschreibung von Faschismus als eine extrem rechte, autoritäre und ultranationalistische Ideologie, bei der es einen diktatorischen Anführer und eine Unterdrückung der Opposition gebe.
Gemäss Kelly habe Trump auch gesagt: «Hitler hat auch einige gute Dinge getan.» Kelly ist ein ehemaliger Vier-Sterne-General des US-Marine-Corps. Er war von 2017 bis 2019 Trumps Stabschef im Weissen Haus.
«Notruf an das amerikanische Volk»
Kurz darauf bediente sich auch Kamala Harris (60) des F-Worts – bei einer CNN-Bürger-Fragestunde im politisch umkämpften Bundesstaat Pennsylvania. Trump sei «zunehmend instabil» und «ungeeignet für das Amt», sagte Harris. Auf die Frage: «Halten Sie Donald Trump für einen Faschisten?», antwortete sie ohne Zögern: «Ja, das tue ich.»
Mehr zum US-Wahlkampf
Harris sagte, John Kelly habe mit seinen Aussagen über Trump einen «Notruf an das amerikanische Volk abgesetzt». Die Leute, die Trump «zurückhalten könnten», seien künftig nicht mehr da. Die Kampagne von Harris nutzt eine Aufnahme Kelly auch für zwei neue TV-Spots.
Trump selbst hatte dafür nur Spott übrig. «Harris merkt, dass sie verliert, und zwar haushoch», schrieb der 78-Jährige auf der Online-Plattform Truth Social. «Deshalb verschärft sie jetzt zunehmend ihre Rhetorik.» Im Podcast von Joe Rogan nannte Trump zudem John Kelly einen «Mobber».
«Alles, was sie jetzt tut, ist taktisch»
Klar ist: Mit den Faschismus-Vergleichen versuchen die Demokraten, die problematischen Seiten von Trumps Persönlichkeit und Politik ins Zentrum zu stellen. Doch wird dies bei den Wählern verfangen?
Gegenüber der BBC sagte der politische Stratege Matt Bennett vom linksliberalen Thinktank Third Way über Kamala Harris: «Alles, was sie jetzt tut, ist taktisch.» Es gehe Harris darum, dass möglichst viele Wähler wissen, was Kelly gesagt hat. Damit wolle sie unzufriedene Republikaner gewinnen: «Menschen, die einfach nicht das Gefühl haben, dass sie wieder für Trump stimmen können», sagte Bennett.
Die republikanische Strategin Denise Grace Gitsham gab gegenüber der BBC zu bedenken, dass die Wähler schon seit 2016 eine ähnliche Rhetorik über Trump gehört haben, sodass neue Anschuldigungen die Wahl kaum beeinflussen würden.
«Ähnelt sehr den ursprünglichen Faschismen»
Gegenüber CNN betonte Daniel Steinmetz-Jenkins, Assistenzprofessor an der Wesleyan University im US-Bundesstaat Connecticut, dass es eine lange Geschichte gebe, in der Amerikaner auf beiden Seiten des politischen Spektrums versuchten, ihre Gegner als «faschistisch» abzustempeln. Nachdem Harris im August ins Präsidentschaftsrennen eingestiegen sei, habe sie zunächst eine positive Kampagne der «Politik der Freude» geführt. Jetzt aber, da die Demokraten Angst hätten, gegen Trump zu verlieren, habe sie die Bedrohung durch einen faschistischen Trump in den Vordergrund gerückt. Steinmetz-Jenkins bemängelt: «Was wir brauchen, ist ein Plan, der die Menschen dazu inspiriert, für die Demokraten zu stimmen, und nicht eine Taktik der Angst.»
Robert Paxton, emeritierter Professor der Columbia University und Autor des Buches «Anatomie des Faschismus», führt den Sturm aufs Kapitol vom 6. Januar 2021 als Beweis für Trumps Faschismus an. «Es brodelt von unten her auf sehr besorgniserregende Weise, und das ähnelt sehr den ursprünglichen Faschismen», sagte Paxton dem «New York Times Magazine».
«Weit hergeholt»
David Kertzer, Geschichtsprofessor an der Brown University, sagte gegenüber ABC News, er sei «ein wenig entsetzt» gewesen, als er hörte, dass Harris Trump einen Faschisten nannte. «Es gibt gewisse Anklänge, aber im Hinblick darauf, die Republikanische Partei in einen Einparteienstaat zu verwandeln, scheint das im Moment ziemlich weit hergeholt zu sein», sagte der Historiker.
Der britische Economist schrieb in einem Kommentar, dass es nicht falsch sei, «Trumps gewalttätige autoritäre Politik der Fremdenfeindlichkeit, Nostalgie und Verachtung des Gesetzes als eine moderne Variante des Faschismus zu bezeichnen». Trump könne nach einer Wahl der amerikanischen Demokratie dauerhaften Schaden zufügen. «Aber die Verwendung des F-Wortes ist vielleicht kein guter Weg, um die Wähler davon zu überzeugen.»