Diese Spannung, diese Qual: Für Joe Biden (77) wurde der Freitag zum längsten Tag seines Lebens. Der demokratische Trump-Herausforderer hatte sich im Schlussspurt der Auszählung in umkämpften Swing States erneut Stimme und Stimme nach vorne geschoben und Donald Trump (74) überholt.
Was sich gestern innerhalb der noch offenen Swing States abspielte, war an Spannung kaum zu überbieten. Weil erst am Schluss die demokratisch geprägten Stimmen aus den Städten und von der Briefwahl ausgezählt werden, holte Biden langsam aber konstant auf. Er überholte Trump in Georgia, das seit 50 Jahren mehrheitlich republikanisch wählt, und er überholte Trump in Pennsylvania, das vor vier Jahren noch für Trump gestimmt hatte. In Nevada baute er den Vorsprung weiter aus.
Am Freitagabend lag Biden aber immer noch bei 253 Wahlleuten, Trump bei 214.
Georgia zählt neu aus
Gross war die Enttäuschung, als am Abend Georgia ankündigte, die Stimmen wegen Bidens hauchdünnem Vorsprung von nur rund 1500 (bei total rund 5 Millionen) Stimmen nochmals nachzuzählen. Das könnte bis Ende November dauern!
Joe Biden hatte schon vorher getwittert: «Ich bitte euch, ruhig zu bleiben. Der Prozess läuft. Die Auszählung ist bald beendet.»
Trump kündigte eine Klageflut an, weil er Wahlbetrug vermutet. Donald Jr. (42) rief auf Twitter seinen Vater dazu auf, einen «totalen Krieg» rund um die Wahl zu eröffnen. Er müsse «all den Betrug und Schummeleien offenlegen». Sein Bruder Eric (36) schimpfte ebenfalls auf Twitter: «Wo sind die Republikaner?» Er rief die führenden Leute auf: «Zeigt mehr Rückgrat, kämpft gegen diesen Betrug!»
Kritik bei Republikanern wächst
Doch die Kritik in Trumps eigenen Reihen wächst. Senator Mitt Romney (73) sagte, der Präsident habe Unrecht, «wenn er behauptet, dass die Wahl gefälscht, fehlerhaft und gestohlen war. Das schadet der Sache der Freiheit hier und auf der ganzen Welt». Trump schwäche damit die Institutionen, die das Fundament der Republik bildeten, und fache gefährlichen Zorn an.
Auch der republikanische Gouverneur von Maryland, Larry Hogan (64), ärgerte sich: «Es gibt keine Rechtfertigung für die Äusserungen des Präsidenten, die unseren demokratischen Prozess untergraben. Keine Wahl oder Person ist wichtiger als unsere Demokratie.»
Der Kongressabgeordnete Adam Kinzinger (42) aus Illinois forderte: «Hören Sie auf, entlarvte Falschinformationen zu verbreiten – das wird langsam verrückt.» Und der Abgeordnete William Cogswell (45) im Repräsentantenhaus von South Carolina twitterte, er schäme sich – auch als Republikaner, der gerade einen bisher von Demokraten gehaltenen Wahlkreis gewonnen habe.
Tritt Trump 2024 wieder an?
Bei einer Niederlage, so befürchten inzwischen viele, würde Trump nicht Ruhe geben und in vier Jahren wieder antreten. Mick Mulvaney (53), Trumps früherer Stabchef, sagt: «Ich erwarte absolut, dass der Präsident in der Politik involviert bleibt und würde ihn absolut auf eine Shortlist von Leuten packen, die wahrscheinlich 2024 kandidieren.»
Tatsächlich erlaubt die US-Verfassung einem Präsidenten höchstens zwei Amtszeiten. Verpasst Trump die Wiederwahl, dürfte er darum 2024 noch einmal für eine Amtszeit antreten.
Mehrere Republikaner haben inzwischen angekündigt, wegen Trumps antidemokratischem Verhalten die Partei zu verlassen. In den USA nennt man das: Rettungssprung von der sinkenden «Trumptanic».