Auf einen Blick
Die Ansage von Donald Trump (78) an die Ukraine ist überdeutlich: «Ich glaube, dass wir in diesem Krieg feststecken. Ausser, wenn ich Präsident werde. Ich werde ihn zu Ende bringen, ich werde uns rausholen», sagte er bei einer Wahlkampfveranstaltung in Georgia am Dienstag. Heisst: Wird Trump Präsident, wird er weder Geld noch Waffen in die Ukraine schicken. Nur: Was passiert dann mit der Ukraine – und Europa?
Der deutsche Sicherheitsexperte Ralph D. Thiele (70) betont: «Wir sehen einen langsamen, aber stetigen Rückzug Amerikas aus Europa.» Das sollte die europäischen Sicherheitsexperten unbedingt beunruhigen, so der Experte. Denn ohne US-Unterstützung für die Ukraine hat Europa ein grosses Problem: «Es geht hier auch um unseren Hintern.»
Ohne die Unterstützung der USA für die Ukraine würde diese den Krieg gegen Russland verlieren. Haushoch. «Die Ukraine ist von sich aus nicht verteidigungsfähig», so Thiele. Schliesslich sind es vor allem Waffen, Geld und Munition aus den USA, die der Ukraine zu Erfolgen im Kampf gegen die russische Armee verhelfen. Laut dem Kieler Institut für Weltwirtschaft gaben die USA seit Beginn des Krieges über 75,1 Milliarden Euro für die Ukraine-Hilfe aus. Die EU hingegen «bloss» 39,3 Milliarden Euro.
Der Westen würde zur Lachnummer werden
Was würde also passieren, wenn die USA ihre Ukraine-Unterstützung einstellt? «Russland könnte bei einem Rückzug der USA einen Sieg suggerieren», erklärt Experte Thiele. Damit hätte Kremlchef Wladimir Putin (71) sein Ziel zumindest auf Papier erreicht, er hätte seinem Volk etwas zu beweisen. Auch auf dem Schlachtfeld könnte Putin die Ukraine weit zurückdrängen und das Land so in eine schlechte Verhandlungsposition bringen. Und, das erklärt der Schweizer Russland-Experte Ulrich Schmid: «Russland würde sich bestärkt fühlen.» Heisst, dass sich Russland gegenüber Europa weitaus aggressiver verhalten würde, sollte sich die Schutzmacht USA zurückziehen.
Nicht nur das: Eine Niederlage der Ukraine wäre demütigend für den Westen – und sie würde auch die Glaubwürdigkeit des Westens aufs Spiel setzen. Es wäre eine weitere Bestätigung für die Autokraten und Diktatoren dieser Welt, dass Demokratien nicht das Zeug dazu haben, wehrhaft zu sein. Ukraine-Unterstützer würden in Russland, China und dem Globalen Süden zu Staaten werden, die auf ihre Worte keine Taten folgen lassen. George Robertson (78), ehemaliger Nato-Chef, warnte im Sommer gegenüber «The Economist»: «Wenn die Ukraine verliert, werden unsere Feinde die Weltordnung bestimmen.»
Kann Europa das allein?
Die Drohungen aus Amerika sind nicht neu. Thiele zu Blick: «Es ist ein permanenter Weckruf, der uns immer wieder erschreckt – weil die Europäer Schlafmützen sind.» Wieso gelingt es Europa nicht, aus seinem sicherheitspolitischen Tiefschlaf zu erwachen? «Es ist ein Verhaltensdefizit auf europäischer Seite.» Denn: Europa könnte sich theoretisch schon selbst verteidigen. Doch: «Das wollen wir augenscheinlich nicht. Wir haben es uns bequem gemacht, auf dem Rücken Amerikas. Wir sind sicherheitspolitische Schwarzfahrer», so das harte Urteil des Sicherheitsexperten. «Diese Nachlässigkeit bereitet mir Sorgen.»
Es sei nun an Europa, sich stärker aufzustellen, so Thiele. «Je selbstbewusster Europa ist, desto mehr Respekt hat Putin vor uns – desto sicherer sind wir.» Genau das schien die EU Anfang Woche zu versuchen: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (65) verkündete, dass die EU der Ukraine 35 Milliarden Euro leihen würde. Das Geld stammt von eingefrorenen russischen Konten. Mit den USA war dieser riskante Schachzug nicht so recht abgesprochen, Gespräche dazu galten zuletzt als festgefahren. Ein erstes Zeichen der Emanzipation?
Auch die Ukraine spürt den kühlen Wind aus den USA. Am Mittwoch stellte der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (46) dem US-Präsidenten Joe Biden (81) einen neuen «Siegesplan» vor, um den Krieg zu beenden. Auch mit dem Team von Kandidat Trump traf sich Selenski. Seine offensichtliche Nervosität Selenskis zeigt: Er weiss, dass er noch vor November möglichst viele seiner Ziele erreichen muss – sonst wird es eng für die Ukraine. Auch Biden weiss es: Er sicherte der Ukraine am Donnerstag nochmals milliardenschwere Hilfe zu – und plant im Oktober, kurz vor den Wahlen, ein internationales Treffen zum Thema in Deutschland.