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Experten kritisieren neuen «Siegesplan» der Ukraine
«Selenski hält an maximalistischen Kriegszielen fest»

Diese Woche will Wolodimir Selenski (46) in den USA einen «Siegesplan» vorstellen, um den Krieg in der Ukraine zu beenden. Die Militärexperten Marcel Berni (36) und Ralph D. Thiele (70) ordnen ein, was dieser Plan enthalten könnte und welche Erfolgsaussichten er hat.
Publiziert: 23.09.2024 um 18:25 Uhr
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Aktualisiert: 23.09.2024 um 22:32 Uhr
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Wolodimir Selenski (3.v.r.) ist derzeit in den USA, um für den «Siegesplan» zu werben. Am Sonntag besuchte er eine Fabrik für Artilleriemunition in Scranton, Pennsylvania.
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Auf einen Blick

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Daniel JungRedaktor News

An einer Pressekonferenz mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (65) in Kiew sprach der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (46) letzte Woche erstmals von einem «Siegesplan», um den Krieg zu gewinnen. Unter anderem möchte er im November einen zweiten internationalen Friedensgipfel abhalten.

Am Wochenende reiste Selenski in die USA, um sich zusätzliche politische und militärische Unterstützung sichern. «Zusammen mit unseren Partnern können wir unsere Position so stärken, wie es nötig ist für unseren gemeinsamen Sieg – für einen wirklich gerechten Frieden», sagte Selenski in einer Videoansprache. Kann der «Siegesplan» eine entscheidende Wende im Ukrainekrieg bringen? Blick ordnet mit Experten ein.

Wieso stellt Selenski gerade jetzt einen Plan zur Beendigung des Krieges vor?

Selenski stehe unter grossem Druck. «Nach über zweieinhalb Jahren Abnutzungskrieg macht sich in der Ukraine die Angst breit, die westliche Unterstützung nach und nach zu verlieren», erklärt Marcel Berni (36), Strategieexperte an der Militärakademie der ETH. Die unsichere Finanzlage in Europa, der Aufwind rechts- und linkspopulistischer Parteien und eine mögliche Wahl von Donald Trump zwängen die Ukraine zum Handeln.

«Die Partner werden müde, ob das nun die Europäer sind oder die Amerikaner», sagt Ralph D. Thiele (70), Vorsitzender der deutschen Politisch-Militärischen Gesellschaft und Präsident von Eurodefense Deutschland. In den USA sei es nur eine Frage der Zeit, bis die grosse Unterstützung ende. «Mit Trump vermutlich schneller als mit Biden oder Harris», sagt Thiele.

Warum ist der Inhalt des «Siegesplans» bisher nicht bekannt?

Selenski habe sich die Details für Joe Biden (81) aufgespart, ist Thiele überzeugt. «Es macht ja keinen Sinn, dass er den Plan schon vorher überall ausposaunt.» Das Treffen mit Biden ist für Donnerstag geplant.

Können die Weichen überhaupt vor den US-Wahlen neu gestellt werden?

«Biden kann versuchen, seine Reputation aufzubessern und als Unterstützer der Ukraine in die Geschichtsbücher einzugehen», sagt Marcel Berni. Dafür müsste Biden der Ukraine die Genehmigung für den militärischen Einsatz von westlichen Langstreckenwaffen auf russischem Gebiet erteilen – oder zusätzliche Sicherheitsgarantien gewähren.

«Selenski läuft die Zeit weg», betont Ralph D. Thiele. Er könne nicht warten, bis am 5. November der nächste US-Präsident gewählt wird. Er hoffe, dass Biden vorher noch wichtige Schritte einleite. Jedoch wisse Selenski auch, dass er mit Donald Trump (78) leben müsse, wenn er gewinnt. Auch ihn will Selenski diese Woche treffen.

Wieso spricht Selenski von «Sieges-» statt «Friedensplan»?

Bisher habe Selenski das Thema Waffenstillstand stets vermieden, betont Thiele. Mit dem «Siegesplan» suche er nun nach einem Ausweg. Beim Wort «Siegesplan» schwinge sicher eine Motivationsabsicht mit: Einerseits in Richtung Ukraine und ihrer kämpfenden Soldaten, andererseits in Richtung der westlichen Partner. «Der Besuch in Washington läuft darauf hinaus, dass Selenski mal wieder versucht, mehr herauszuholen, als der Westen bisher geben will», sagt Thiele.

Selenski wolle viel, halte weiterhin an maximalistischen ukrainischen Kriegszielen fest, sagt Berni. «Um diese zu erreichen, braucht er den Westen an seiner Seite.» Aus Rücksicht auf die eigene Bevölkerung könne Selenski dem Westen einen dauerhaften Frieden nur mit einem ukrainischen Sieg schmackhaft machen.

Was könnte der Inhalt des «Siegesplans» sein?

Selenski wolle wohl einen Freibrief, um mit westlichen Waffen das russische Hinterland anzugreifen, vermutet Thiele. Zudem könne er eine definitive Zusage zur Nato-Mitgliedschaft anstreben. Hier sieht Thiele allerdings ein gewaltiges Eskalationspotenzial: «Aus meiner Beobachtung wäre das die Lizenz zum Weltkrieg.»

Bisher hat es Selenski nicht geschafft, die Ukraine in die Nato oder in die EU einzubringen. «Folglich dürfte er an alternativen, aber konkreten Sicherheitsgarantien und finanziellen Unterstützungsleistungen interessiert sein», vermutet Berni. Zudem dürfte es Selenski auch darum gehen, den ukrainischen Vorstoss in der Region Kursk abzusichern und die Genehmigung für den Einsatz weitreichender westlicher Waffen auf russischem Gebiet zu erhalten.

Selenski will mit westlichen Waffen tiefer nach Russland schiessen. Warum ist das wichtig?

«Die jüngsten russischen Eroberungen waren vor allem dank des Einsatzes von Gleitbomben möglich», sagt Marcel Berni. Diese würden aus dem sicheren russischen Luftraum ausgeklinkt. «Diesen Bombenhagel muss die Ukraine stoppen, deshalb will sie Angriffe auf russische Flugfelder, Rüstungs- und Treibstofflager sowie Munitionsdepots fliegen.» Die westlichen Partner der Ukraine waren aus Eskalationsängsten bisher zögerlich, solchen strategischen Angriffen auf russisches Gebiet mit westlichen Waffen zuzustimmen. «Sie könnten es allerdings zulassen», findet Berni.

Kritisch sieht dies Ralph D. Thiele. Selenski will den Krieg im Hinterland gewinnen, indem er auf die Motivation russischer Eliten zielt und denen vermitteln möchte, dass Putin nicht mehr der geeignete Führer in Russland ist.» Selenki wolle die russische Wirtschaft schwächen, indem er etwa die Gasproduktion im Hinterland angreife. «Und das ist ja genau das, was der Westen nicht will, insbesondere Biden und Scholz, weil sie sagen, hier bestehe die Gefahr einer ernsthaften Eskalation.»

Wie realistisch ist es, dass der «Siegesplan» eine wichtige Wendung bringt?

Thiele sieht kaum Erfolgschancen. «Selenskis Vorgehen ist absurd, würde ich sagen, hier herrscht viel Wunschdenken.» Dass die Amerikaner die Russen «platt machen», sei unwahrscheinlich. «Die Amerikaner folgen ihren eigenen Interessen.» Eine direktere Konfrontation mit Russland gehöre nicht dazu.

Berni ist hier optimistischer. Er sagt: «Es wird massgeblich darauf ankommen, inwiefern sich Biden der Ukraine noch verpflichtet fühlt und wer die amerikanischen Präsidentschaftswahlen gewinnt.» Der Schlüssel für einen ukrainischen Sieg liege weiterhin nicht nur in Moskau, sondern auch in Washington.

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