Auf einen Blick
In den USA wird in diesem Jahr wieder ein enger Ausgang der Präsidentschaftswahlen erwartet. Im Jahr 2000 als George W. Bush (78) gegen Al Gore (76) siegte, entschieden 537 Stimmen aus Florida über die Präsidentschaft – von landesweit über 100 Millionen. Das Resultat stand erst über einen Monat nach dem Wahltag fest – nach intensiven Nachzählungen und einem Entscheid des Obersten Gerichts.
Noch in frischer Erinnerung sind die Streitigkeiten rund um das Wahlergebnis von 2020, als Donald Trump behauptete, die Wahl sei ihm «gestohlen» worden. Deshalb blicken viele Amerikaner sorgenvoll auf den 5. November und speziell auf die Briefwahl. Blick erklärt, warum die Abstimmung per Post in den USA hochumstritten ist, während sie in der Schweiz seit Jahrzehnten auf breite Akzeptanz stösst.
In der Schweiz stimmen 90 Prozent per Post
Hierzulande wird seit Jahrzehnten per Post gewählt. Die Einführung hat sich jedoch über Jahrzehnte hingezogen. Die Briefwahl ohne Antrag führten die ersten Kantone – Baselland, St. Gallen und Appenzell Innerrhoden – Ende der 1970er-Jahre ein. Seit 1994 ist die Briefwahl als offizieller Kanal im Schweizer Recht verankert. Es dauerte bis 2006, bis alle 26 Kantone funktionierende Systeme hatten.
Während der Corona-Pandemie ist der Anteil der Briefwahl nochmals gestiegen. Heute entscheiden sich oft über 90 Prozent der Abstimmenden für den Brief statt für den Gang zur Urne.
Manchmal gibt es auch in der Schweiz Probleme: So kam es am 22. August bei den Wahlen für das St. Galler Stadtparlament zu einer Auszählpanne, worauf der Präsident des Stimmbüros sein Amt niederlegte. Der Fehler passierte dabei bei einem manuellen Eintrag in ein Computersystem. Insgesamt ist die Briefwahl hierzulande aber breit akzeptiert.
Kritik auf republikanischer Seite
In den USA ist dies anders. Einerseits ist das System in den Bundesstaaten sehr unterschiedlich geregelt, andererseits hängt die Haltung stark vom politischen Standpunkt ab. Die Republikaner stehen der vorzeitigen Stimmabgabe skeptischer gegenüber als die Demokraten. Gleichwohl hat die Bedeutung in den letzten Jahren zugenommen.
Insgesamt gibt es in den USA rund 244 Millionen Wahlberechtigte. Gemäss dem «Election Lab» der Universität von Florida wurden schon über 53 Millionen Briefwahl-Unterlagen verschickt. Bereits haben fast 4,5 Millionen Amerikaner ihre Stimme abgegeben.
Trump: «Blöde Regelung»
An einer Wahlveranstaltung in Pennsylvania sagte Donald Trump (78) am 23. September: «In den nächsten zwei Wochen beginnt in Pennsylvania die vorzeitige Stimmabgabe, und wir brauchen jeden Einzelnen von Ihnen, um wählen zu gehen. Sehen Sie nichts als selbstverständlich an. Wir müssen Pennsylvania gewinnen.»
Trump fuhr fort: «Jetzt haben wir diese blöde Regelung, dass man 45 Tage früher wählen kann. Ich frage mich, was zum Teufel in diesen 45 Tagen passiert.» Er ermunterte seine Wähler im wichtigsten Swing State also, die Briefwahl zu nutzen, während er gleichzeitig Zweifel säte.
Scharfe Kritik an der US-Post
Trump ist keineswegs der Einzige, der Bedenken gegenüber der Briefwahl äussert. In einem offenen Brief vom 11. September an den Chef des US Postal Service warnten Wahlbeamte aus allen 50 Staaten, dass Probleme mit der Post das Vertrauen ins Wahlsystem beschädigen könnte. Sie kritisieren, der Chef der amerikanischen Post, Louis DeJoy (67), habe anhaltende Mängel nicht behoben.
Insgesamt werden Briefwahl-Stimmen in den USA viel häufiger zurückgewiesen als an der Wahlurne abgegebene Stimmen. In Pennsylvania laufen dazu bereits diverse Rechtsstreitigkeiten. Bei der Wahl vor vier Jahren lehnten die Wahlbeamten dort mehr als 34’000 Briefwahlstimmen ab. 2024 könnte selbst ein Bruchteil dieser Zahl den Unterschied ausmachen.
Nur in acht Staaten automatisch
Der Anteil der Briefwahl hat sich zwischen den Präsidentschaftswahlen 2016 und 2020 landesweit mehr als verdoppelt, von 20 auf 43 Prozent. Inzwischen gibt es in allen 50 Staaten Möglichkeiten zur Briefwahl. Nur in acht Staaten und in Washington DC erhalten die Wähler die Briefwahl-Unterlagen – wie in der Schweiz – automatisch. In anderen Staaten werden die Stimmzettel auf Antrag oder erst nach Vorlage einer Begründung verschickt.
Um in Texas – nach Kalifornien der Staat mit der zweitgrössten Bevölkerung – per Post wählen zu können, muss man: entweder über 64 Jahre alt sein; krank oder behindert sein; am Wahltag und in den Wochen davor verreist sein; von drei Wochen vor oder nach dem Wahltag eine Entbindung erwarten; oder im Gefängnis sitzen, aber ansonsten wahlberechtigt sein.
Frist bis zwei Wochen nach dem Wahltag
In der Schweiz müssen die Unterlagen bis am Wahltag im Wahlbüro sein. In den USA ist das nicht überall so. In Kalifornien oder Oregon müssen die Stimmzettel zwar einen Poststempel vom 5. November haben, können aber bis zum 12. November im Wahlbüro eintrudeln. In Illinois sollen Stimmzettel gar bis zum 19. November gezählt werden – zwei Wochen nach dem Wahltag.
In der Nacht nach dem 5. November könnte daher noch länger nicht feststehen, ob Trump oder Kamala Harris (59) nächstes Jahr ins Weisse Haus einzieht.