US-Präsident setzt auf Chaos als Regierungsstrategie
Kalkül oder Kontrollverlust?

Donald Trump setzt in seiner zweiten Amtszeit auf Chaos als Strategie. Der US-Präsident nutzt Unberechenbarkeit, um Gegner zu destabilisieren und seine Macht auszubauen. Seine widersprüchlichen Signale sorgen für Unsicherheit weltweit.
Publiziert: 22.03.2025 um 23:55 Uhr
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Aktualisiert: 23.03.2025 um 07:25 Uhr
Trump nutzt Unberechenbarkeit, um Dominanz zu sichern. Kann das gut gehen?
Foto: AP
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Chiara SchlenzAusland-Redaktorin

Wenn es eine Weisheit gibt, die Donald Trump (78) verinnerlicht hat, dann ist es diese: Wer ständig lügt und unberechenbar bleibt, hält seine Gegner in Schach. Wird er drastische Zölle gegen Verbündete verhängen? Verkauft er die Ukraine an Putin? Wird er die Regierung nutzen, um politische Feinde auszuschalten? Trump hat all dies angedeutet, dementiert, bekräftigt, umgesetzt – und dann erneut infrage gestellt.

Seit seiner Rückkehr ins Weisse Haus hat Trump erneut bewiesen, dass Chaos für ihn keine Fehlfunktion, sondern eine bewusst eingesetzte Strategie ist. Es ist das Mittel zum Zweck, mit dem er Gegner destabilisiert, sich Spielräume schafft und bestehende Machtstrukturen aufweicht. Was wie improvisiertes Regieren wirkt, folgt einem strategischen Muster – einem Konzept, das als «Madman-Theorie» bekannt ist.

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Seit seiner Rückkehr ins Weisse Haus hat Trump erneut bewiesen, dass Chaos für ihn keine Fehlfunktion, sondern eine bewusst eingesetzte Strategie ist.
Foto: AFP

Die Grundidee dahinter: Wer sich irrational, unberechenbar oder sogar gefährlich gibt, kann Gegner in Unsicherheit versetzen und so politische Zugeständnisse erzwingen. Der Begriff wurde von Richard Nixon geprägt, der in den 1970er-Jahren die nordvietnamesische Führung glauben machen wollte, er sei zu allem bereit – sogar zum Einsatz von Atomwaffen. Trump greift dieses Konzept in modernisierter Form auf: nicht mit gezielter Abschreckung, sondern mit einem permanenten Strom widersprüchlicher Aussagen, Drohungen, Dementis und plötzlicher Kurswechsel. Wie ein Spieler am Pokertisch lässt er niemanden erkennen, ob er blufft – oder es ernst meint.

Trump schaffe gezielt Verwirrung, schreiben Analysten, um seine Gegner zu lähmen – nach dem Prinzip: Wer ständig reagieren muss, kann selbst keine Strategie entwickeln. Seine Gegner sind gezwungen, jeden Tweet, jede improvisierte Rede auf mögliche Konsequenzen zu prüfen. So kontrolliert Trump das Tempo – und zwingt die Welt, sich um ihn zu drehen.

Wo Trump seine Chaos-Strategie anwendet

In den ersten Monaten seiner zweiten Amtszeit hat Trump diese Taktik weiter verfeinert – und gleich mehrfach für internationale Verwirrung gesorgt. Besonders spektakulär: die plötzliche Drohung, Kanada annektieren zu wollen. Offiziell begründet wurde sie mit angeblichen chinesischen Einflussoperationen im Norden – doch Beobachter sahen darin vor allem einen kalkulierten Affront gegenüber Ottawa. Oder auch die Wiederaufnahme des Vorschlags, Grönland von Dänemark zu kaufen – diesmal im Rahmen eines «Sicherheitsdeals» gegen Russland –, sorgte für diplomatische Schockwellen.

Auch wirtschaftspolitisch setzt Trump auf kontrolliertes Chaos. Nach der Einführung neuer Strafzölle gegen die EU, Kanada und Mexiko ruderte er überraschend zurück – nur um dann mit neuen Auflagen nachzulegen. Das Resultat: Märkte reagieren nervös, Investitionen werden zurückgehalten, während Trump sich als entscheidender Faktor inszeniert, der über Wohl und Wehe ganzer Branchen entscheidet.

Ein weiteres Beispiel für diese Strategie ist sein Umgang mit dem Ukraine-Krieg. Indem er Waffenlieferungen hinauszögert, dann wieder an Bedingungen knüpft und schliesslich mit dem Gedanken spielt, mit Kremlchef Wladimir Putin direkt über eine «Friedenslösung» zu verhandeln, hält er die Welt in Unsicherheit. Ob er tatsächlich bereit wäre, die Ukraine fallen zu lassen, oder ob dies nur eine weitere Verhandlungstaktik ist, bleibt unklar – und genau das macht seine Strategie so effektiv. Trump droht, eskaliert, schürt Ängste – und gibt dann überraschend nach, um als derjenige dazustehen, der einen Deal ermöglicht hat. 

Nicht allen gefällt das Chaos

Die Chaos-Strategie gefällt nicht allen. US-Notenbankchef Jerome Powell sagte nach der Fed-Sitzung am Mittwoch: «In der jetzigen Situation ist die Unsicherheit bemerkenswert hoch.» Trumps Zickzackkurs sorgt für wirtschaftliche Probleme. Der S&P-500-Index sank seit Februar um zehn Prozent. Trumps Beliebtheit bei US-Amerikanern liegt laut «New York Times»-Übersicht in den meisten Umfragen bei rund 47 Prozent – das ist schlecht.

Und was Trumps «Nein, doch, oh»-Strategie international auslöst, bekam die Welt nur allzu eindrücklich zu spüren, als er kurzfristig die Waffenlieferungen an die Ukraine einstellte. Und wieder aufnahm. Und dann vielleicht wieder ...

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