Mit ernster Miene sitzt Jewgeni Prigoschin (61) an dem langen Tisch. Ihm gegenüber haben drei Journalisten Platz genommen. In dem Gespräch geht es um Bachmut, westliche Panzer und das Wagner-Engagement in Afrika.
Die Szenerie soll offenbar vermitteln: Hier erklärt ein mächtiger Mann seine Sicht auf die Welt. Seine Standpunkte unterstreicht Prigoschin mit deutlichen Gesten, immer wieder ist er auch alleine im Bild zu sehen. Unweigerlich drängt sich ein Gedanke auf: Macht der Söldnerführer jetzt auf Staatsmann?
Bereits in der Vergangenheit wurde darüber spekuliert, dass der Wagner-Boss auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin (70) folgen könnte. Ein Interview, das der Wagner-Chef vor Kurzem den staatlichen Fernseh- und Nachrichtenagenturen in Russland gegeben hat, soll diese Gerüchte nun befeuern. Das berichtet die US-Denkfabrik «Institute for the Study of War» (ISW).
Das Thinktank bezeichnet den Auftritt von «Putins Koch» als einzigartig und ist überzeugt: Prigoschin könnte sich als Nachfolger des Kremlchefs in Stellung bringen und sich als Präsidentschaftskandidat für die russischen Wahlen 2024 präsentieren.
Prigoschin widerspricht Behauptungen des Kremls
Anders als bei seinen bisherigen Auftritten liess sich der Wagner-Boss nicht auf dem Schlachtfeld, sondern an einem grossen Tisch ablichten. Laut der Analyse des ISW erinnert die Art und Weise, wie sich Prigoschin inszeniert hat, stark an das Auftreten des Kremlchefs Putin.
Zufall? Wohl kaum, vermutet das ISW. So sieht die Denkfabrik für Prigoschins einzigartigen Auftritt zwei mögliche Gründe: «Entweder um Putin zu verspotten, oder um subtil anzudeuten, dass Prigoschin wie Putin russischer Präsident werden könnte.»
Seinen Auftritt nutzte der Wagner-Boss zudem, um Putins Glaubwürdigkeit zu untergraben. So widersprach er der Behauptung des Kremls, dass Russland in der Ukraine gegen die Nato kämpfe, und stellte gar infrage, ob es in der Ukraine tatsächlich Nazis gibt. Mit der «Entnazifizierung der Ukraine» hat Putin die russische Invasion ins Nachbarland stets begründet.
Wagner-Chef bemängelte erneut fehlende Munition
Der Wagner-Chef liess es sich im Interview auch nicht nehmen, die mangelnde Munition auf dem Schlachtfeld einmal mehr zu kritisieren. Prigoschin macht schon seit Monaten immer wieder auf Engpässe aufmerksam und gab bereits auch der russischen Militärführung die Schuld am Tod von Wagner-Kämpfern, weil diese nicht genug Munition gehabt hätten.
Bereits Anfang März gab es Hinweise, dass es der Wagner-Chef auf Putins Position abgesehen haben könnte. So kündigte Prigoschin an, dass er 2024 für das Amt des ukrainischen Präsidenten kandidieren werde. Dem ISW zufolge deutete das darauf hin, dass er damit von seinen eigentlichen politischen Ambitionen in Russland ablenken wollte.
Klar ist: Zwischen dem Wagner-Boss Jewgeni Prigoschin (61) und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin (70) kriselt es seit geraumer Zeit. Ob das reicht, um den Kremlchef vom Thron zu stossen, wird sich zeigen. (dzc)