Einer Pflegefachfrau, die seit 24 ihren Beruf praktiziert, ist der Kragen geplatzt. In einer Beschwerde hatte sie 2019 auf unhaltbare Zustände in einem Altersheim in Leysin VD hingewiesen, das damals der Fondation Miremont gehörte.
Daraufhin wurde eine Untersuchung eingeleitet, deren Bericht der «SonntagsZeitung» vorliegt. Laut dem Bericht kam es unter anderem zu folgenden Verfehlungen:
Auf Toilette vergessen: Die Gesundheitsangestellte beanstandete, dass eine Seniorin 50 Minuten lang auf der Toilette im Dunkeln vergessen wurde. Andere Bewohner durften laut Beschwerde nicht auf die Toilette, obwohl sie darum gebeten hatten – und mussten stattdessen in ihre Einlagen machen.
Notfall deaktiviert: In der Nacht wurden zuweilen die Klingeln auf der ganzen Station auf Handys umgeleitet. Diese seien auf stumm geschaltet worden, weil sich die Pflegenden in der Nachtschicht über das dauernde Klingeln beschwerten.
Starke Medikamente: Einem Senior, der sich bei der Körperpflege gewehrt hat, wurde ein Beruhigungsmittel verabreicht. Die Folge: Er stürzte fast täglich, worauf ein Bettgitter installiert und die Medikamentenabgabe erhöht wurden. Als er sich weigerte, zu essen und zu trinken, starb er.
Selbstbedienung in der Apotheke: Hilfspfleger hätten Medikamente ohne Rücksprache mit dem Fachpersonal «ausgewählt und verabreicht». Sie hatten leichten Zugang, denn die Apotheke war ungesichert. Ein Pflegehelfer, der nicht einmal eine Ausbildung durch das Rote Kreuz hatte, bediente sich laut Untersuchung zudem nachts an Medikamenten im Reserveschrank, ohne dies zu dokumentieren.
Zu wenig Fachkräfte
Eine Untersuchung durch eine unabhängige Kommission des Kantons bestätigte in der Folge schwerwiegende Fehler. Der Schlussbericht hält fest, «dass die Würde mehrerer Bewohner nicht respektiert wurde und dass Standardmassnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Bewohner nicht vorhanden waren oder nicht eingehalten wurden».
Mehr zu Problemen in Altersheimen
Der Direktor der Stiftung, die das Altersheim zum Zeitpunkt der Anschuldigungen geführt hatte, bestreitet die meisten Vorwürfe. Problematisch soll vor allem ein Mangel an gut ausgebildeten Fachkräften gewesen sein. Ein Problem, das auch viele andere Altersheime in der Schweiz haben.
1800 Anzeigen pro Jahr
Wie oft kommt es in Altersheimen zu Verfehlungen? Die «SonntagsZeitung» holte sich beim Bundesamt für Statistik Daten. Ausgewertet wurden alle Anzeigen wegen mutmasslicher Straftaten, bei denen als Tatort «Altersheim» oder «Pflegeheim» rapportiert wurde. Von 2010 bis 2020 waren es durchschnittlich 1800 pro Jahr. Also fast fünf am Tag. Wobei offen bleibt, ob sich die Anzeigen gegen Bewohner, Angestellte oder Dritte richteten. Und wie viele von ihnen zu einem Schuldspruch führten.
Für Albert Wettstein von der Unabhängigen Beschwerdestelle für das Alter ist ein entscheidender Faktor klar: «Gewalttätige Situation entstehen oft dann, wenn Pflegende unter Zeitdruck stehen.» (gf)