Baden im Kanton Aargau am Freitag dieser Woche: Mehrere Pfleger berichten SonntagsBlick von ihrer Arbeit in einem privatwirtschaftlich geführten Altersheim. Sie schildern unhaltbare Zustände: Manche Bewohner lägen morgens eingenässt oder mit Kot beschmiert im Bett. Weil die Nachtwache keine Zeit hatte, sie aufs WC zu begleiten. Schon Praktikantinnen müssten allein Spätschicht machen, denn es gebe zu wenig Personal.
«Das Wohl der alten Menschen interessiert nicht»
Wollten Pfleger mit Bewohnern ein Gespräch führen, blaffe sie der Stationsleiter an, ob sie keine Arbeit hätten. Eine Pflegehilfe: «Der Geschäftsleitung geht es nur um die Rendite. Das Wohl der alten Menschen interessiert sie kein bisschen. Das ist so unwürdig.» Kürzlich wurde den Senioren auch noch der Zvieri gestrichen. Sie wehrten sich nicht. Aus Angst, sagen die Pflegenden.
Die Gewerkschaft Unia kennt zahlreiche Fälle wie diesen. Ursache dafür sei die Ökonomisierung der Branche. «Die Alterspflege ist heute ein Big Business», sagt Udo Michel (46), bei der Unia zuständig für den Bereich Pflege und Betreuung. «Immer mehr Heime werden von gewinnorientierten Unternehmen betrieben.» Vielfach solche, die zuvor von Gemeinden geführt wurden, aber auch eigens neu gebaute Luxusunterkünfte. Michel: «Hinter den Betreiberketten stehen noch grössere, internationale Investoren. Denen geht es nicht ums Wohl betagter Menschen, sondern um Gewinn.»
Bis 2040 fast 20 Milliarden für zusätzliche Heime nötig
Kaum eine andere Branche verspricht höhere Renditen. Die Credit Suisse schrieb 2015 zum Pflegeheimmarkt: «Die demografische Alterung schreitet unaufhaltsam fort. Sie sorgt für einen grossen Bedarf an Pflegekapazität und damit für eine fast schon garantierte Nachfrage.» Seit 2005 habe sich das Investitionsvolumen bereits verdreifacht. Bis 2040 müssten «fast 20 Milliarden Franken in zusätzliche Pflegeheime investiert werden».
Die Ökonomisierung hat laut einer Masterstudie der Universität Bern schwerwiegende Auswirkungen auf die Pflegekräfte. «Kostensparen und Renditedenken sind neu stets Teil ihrer Arbeitswelt», heisst es darin. Den Angestellten würden pro Bewohner Zeiten vorgegeben, die kaum für die medizinische Behandlung ausreichen: «Damit bleiben nicht messbare Handlungen wie Gefühls-, Beziehungs- und psychosoziale Arbeit auf der Strecke.»
Hohe Burn-out-Rate bei Pflegefachkräften
Angestellte müssten sich um immer mehr Bewohner kümmern. So könne die Pflege nicht mehr nach ihren Massstäben erbracht werden. «Deshalb fühlen sich verschiedene Pflegekräfte heute bei ihrer Arbeit vermehrt an Fabrikarbeit erinnert. Hohe Fluktuationsraten, Berufsausstiege und Burn-outs sind inzwischen die Norm.»
Eine Umfrage der Unia bei über 1000 Auszubildenden bestätigt dies. In der Langzeitpflege gaben weniger als 40 Prozent der Befragten an, dass die Arbeit ihren Vorstellungen entspricht. Vor allem Personal- und Zeitmangel machten den Nachwuchskräften zu schaffen. Über 60 Prozent seien mit ihrem Lohn unzufrieden. Nur rund die Hälfte sieht sich in zehn Jahren noch im gleichen Beruf.
«Entwicklung ist besorgniserregend»
«Diese Entwicklung ist besorgniserregend», so Unia-Fachmann Michel. «Schon jetzt besteht in der Pflege ein Fachkräftemangel. Ohne Verbesserung der Arbeitsbedingungen wird er sich zuspitzen.» Leidtragende seien auch die Betagten. «Sie werden von den Unternehmen immer weniger wie Menschen behandelt, sondern wie eine Ware.»
Hannes Wittwer (59), CEO der grossen Heimbetreiberkette Senevita, widerspricht: «Ich kenne keinen Betreiber, privat oder öffentlich, dem es nicht um das Wohl der Bewohnenden geht.»
Wer dieses Ziel aus den Augen verliere, habe bald wirtschaftliche Probleme. Wenn ein Heim schlecht geführt werde, spreche sich das schnell herum. Natürlich sei es wichtig, rentabel zu arbeiten. «Sonst kann man weder Renovationen noch Umbauten, noch Projekte oder Ausbildungen finanzieren.»
Seit 2014 ist Senevita im Besitz der Orpea-Gruppe, eines börsenkotierten, milliardenschweren Unternehmens aus Frankreich. Hat sich der Leistungsdruck dadurch verstärkt? «Nein, im Gegenteil», so Wittwer. «Durch unsere Zugehörigkeit zu Orpea haben wir finanziellen Rückhalt und Spielraum.»
Gemäss dem neuen Erwachsenenschutzrecht dürfen freiheitseinschränkende Massnahmen nur ergriffen werden, wenn weniger einschneidende Vorkehrungen nicht ausreichen – oder von vornherein als ungenügend erscheinen. Das seit 2013 geltende Recht schreibt den Heimen ein klares Verfahren vor: Betroffene und deren Angehörige etwa müssen genau über die geplante Massnahme informiert werden, die ebenso exakt in einem Protokoll festgehalten sein muss. Betroffene können sich bei der Erwachsenenschutzbehörde über die Massnahme beschweren. Ein Recht, von dem kaum jemand Gebrauch macht: Laut den Behörden im Kanton Bern und der Stadt Zürich wurde es bisher je ein Mal beansprucht. Viel eindeutiger ist die Rechtslage in Deutschland: Hier muss jeweils ein Richter die Fesselung bewilligen.
Gemäss dem neuen Erwachsenenschutzrecht dürfen freiheitseinschränkende Massnahmen nur ergriffen werden, wenn weniger einschneidende Vorkehrungen nicht ausreichen – oder von vornherein als ungenügend erscheinen. Das seit 2013 geltende Recht schreibt den Heimen ein klares Verfahren vor: Betroffene und deren Angehörige etwa müssen genau über die geplante Massnahme informiert werden, die ebenso exakt in einem Protokoll festgehalten sein muss. Betroffene können sich bei der Erwachsenenschutzbehörde über die Massnahme beschweren. Ein Recht, von dem kaum jemand Gebrauch macht: Laut den Behörden im Kanton Bern und der Stadt Zürich wurde es bisher je ein Mal beansprucht. Viel eindeutiger ist die Rechtslage in Deutschland: Hier muss jeweils ein Richter die Fesselung bewilligen.