Der Umgang mit der Corona-Krise spaltet die Schweden. Anhänger der lockeren Strategie rühmen die hohe Überlebensrate auf den Intensivstationen. Kritiker hingegen fordern nach dem Emporschnellen der Anzahl Toten auf ein Mehrfaches der Nachbarländer eine sofortige Verschärfung der Massnahmen.
Vorteile der aktuellen Strategie sieht zum Beispiel David Konrad (51), Chefarzt am Karolinska Universitätsspital in Stockholm. Er sagte gegenüber dem schwedischen Fernsehen SVT, dass über 80 Prozent der Intensivpatienten überlebten. Konrad: «Es ist sehr positiv. Wir hatten eine viel schlimmere Situation befürchtet.»
Intensivpflegeplätze leer
Mit 80 Prozent liegen die Überlebenschancen in Schweden höher als etwa in Grossbritannien, wo man in der Intensivpflege eine ungefähre Überlebenschance von 50 Prozent feststellt. In der Schweiz gibt es keine konkreten Werte, das BAG aber sagt auf Anfrage von BLICK: «Wir gehen aufgrund von Aussagen von Fachärzten für Intensivmedizin davon aus, dass die Erfahrungen in der Schweiz ähnlich wie in Schweden ist.»
Laut David Konrad gibt es in allen Stockholmer Spitälern nun viele freie Plätze auf den Intensivstationen. Konrad: «Wir nähern uns der Abflachung der Erkrankungskurve», sagt der Arzt.
«Menschen nicht einsperren»
In Schweden verzeichnete man am Mittwochmittag 1203 Tote und 11'927 Fälle (Schweiz: 1221/26'336), allerdings werden in Schweden nur wenige Personen getestet. Bis Ende April könnten viele der Einwohner das Virus in sich getragen haben, ohne es zu merken – oder nur mit leichten Symptomen.
Auch wenn der schwedische Krisen-Epidemiologe Anders Tegnell (63) abstreitet, an einer «Herdenimmunität» zu arbeiten, sagt er doch, eine etwaige Immunität möglichst grosser Teile der Bevölkerung sei der Schlüssel im Kampf gegen das Coronavirus. Sobald es viele gibt, die immun sind, habe es das Virus dann schwer, sich weiter auszubreiten – etwa zu Risikogruppen.
Stratege Tegnell ist überzeugt: «Menschen zu Hause einzusperren, wird auf lange Sicht nicht funktionieren. Früher oder später werden die Leute sowieso rausgehen.»
Corona in Schweden
22 Forscher fordern Lockdown
Die Strategie der Schweden – Restaurants, Schulen bis zur neunten Klasse, Fitnessstudios, Hallenbäder sind geöffnet – wird einerseits als «vorbildliche Gelassenheit», andererseits als «gefährliches Experiment» kritisiert. Zu den grossen Kritikern gehören 22 Forscher von schwedischen Universitäten und andern Instituten, die nun gemeinsam auf Dagens Nyheter ihren Unmut äussern.
Die Experten verweisen auf die hohe Zahl Todesopfer, die innerhalb nur eines Tages um 114 angestiegen ist. Die Experten vergleichen Schweden auch mit den Nachbarländern, die mit strikten Massnahmen eine klar bessere Bilanz vorweisen können: So gibt es in Norwegen bisher 142, in Dänemark 309 und in Finnland 64 Tote.
Jan Lötvall (63), Allergologe an der Uni Göteborg, sagt, die Schweden hätten den Ernst der Lage immer noch nicht erkannt, weil Politiker und Experten unklare Anweisungen erteilen würden. Die Forscher haben genug von der lockeren Strategie. Ihr Forderung ist klar: Sofort Lockdown auch in Schweden, um Schlimmeres zu verhindern. (gf)
Das Coronavirus beschäftigt aktuell die ganze Welt und täglich gibt es neue Entwicklungen. Alle aktuellen Informationen rund ums Thema gibt es im Coronavirus-Ticker.
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