Mangelndes Gas, steigende Heizkosten: In mehreren europäischen Ländern kommt es zu Protesten. In Prag sind am Samstag 70'000 Personen von Links- bis Rechtsaussen auf die Strasse gegangen, in Leipzig (D) haben am Montag mehrere Tausend Linke ihren «heissen Herbst» eingeläutet.
SPD-Innenministerin Nancy Faeser (52) erwartet in Deutschland radikale Proteste, Grünen-Aussenministerin Annalena Baerbock (41) sogar Volksaufstände.
Damit steigt der Druck nicht nur auf Politiker westlicher Länder, sondern auch auf den ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski (44). ETH-Strategieexperte Marcel Berni (34) sagt gegenüber Blick: «Im Hinblick auf den drohenden Winter und die Rezession in Europa muss die Ukraine der eigenen Bevölkerung und dem Westen gegenüber Erfolgsmeldungen generieren.»
Denn mit den steigenden Energiepreisen mehren sich auch die Stimmen, die eine Lockerung der Sanktionen gegen Russland fordern.
Gute Nachrichten auch wegen Waffen
Erfolgsmeldungen seien zudem nötig, weil die Ukraine auf weitere Waffen angewiesen sei. «Diese Waffen- und Munitionslieferungen sowie die Versorgung mit geheimdienstlichen Informationen erlaubten es der Ukraine, den Abnutzungskrieg über ein halbes Jahr durchzustehen.»
Um dem Westen Mut zu machen und weitere Waffen zu erhalten, habe die Ukraine daher die Gegenoffensive im Süden früh angekündigt. «Der Angriff ist zögerlich losgegangen, zuerst mit Beschuss der russischen Versorgungs- und Logistikbasen.» Nun habe der ukrainische Vormarsch auf dem Boden begonnen, bisher aber nur mit begrenzten Landgewinnen. Berni: «Im Moment sind es eher örtlich begrenzte Gegenangriffe.»
Oft auch manipulativ
Um Erfolgsmeldungen zu transportieren, seien alle Mittel recht, sagt Berni. «Selenski ist gelernter Schauspieler, der sich als präsenter Kämpfer und Identifikationsfigur inszeniert. Er pflegt das Opfernarrativ beständig und reklamiert für sich eine moralische Legitimation.» Erfolge würden «durchaus manipulativ und bildgewaltig auf den sozialen Medien» publiziert.
Selenski appelliere zudem konstant ans schlechte Gewissen des Westens. Berni: «Er sagt, das russische Gas sei schmutzig, und Waffen aus dem Westen seien gut und essenziell für die Selbstverteidigung.»
Europa steht ein harter Winter bevor. Nicht nur wegen der hohen Energiepreise, sondern auch wegen der zu erwartenden Unruhen. Berni ist daher überzeugt: «Erfolgsmeldungen aus der Ukraine sind mindestens so wichtig wie die vor kurzem begonnene Gegenoffensive im Süden des Landes.»