Die Sieben-Tage-Inzidenz war in Deutschland das Mass aller Dinge. Politiker und Wissenschaftler rechtfertigten damit Massnahmen und Lockdowns. Doch nun rückt für das Robert-Koch-Institut (RKI) eine andere Zahl in den Fokus. Die Anzahl der Hospitalisierungen, also wie viele Corona-Patienten in den Spitälern liegen.
Der Grund für den Paradigmenwechsel: 42 Prozent der Bevölkerung sind bereits geimpft, besonders die Risikogruppen. Daher geht das RKI davon aus, dass mit einer «Abnahme des Anteils schwerer Fälle» zu rechnen ist, wie die «Bild» aus internen Dokumenten des Instituts zitiert. Das bedeutet: Es könnte zwar mehr Fälle geben. Dies bedeutet aber nicht automatisch auch eine hohe Intensivbetten-Belegung. Damit verliere der Inzidenzwert «zunehmend an Aussagekraft», schreibt der deutsche Gesundheitsminister Jens Spahn (41) auf Twitter.
Für ihn ist klar: «Wir benötigen nun noch detailliertere Informationen über die Lage in den Kliniken.»
Spanien schaut auch auf die Hospitalisierungen
Nicht nur in Deutschland verliert der Inzidenzwert an Bedeutung. Auch in Spanien. Dort schnellen die Corona-Infektionen gerade in die Höhe. Deswegen erklärte Deutschland auch das ganz Land zum Risikogebiet. Die Spanier nehmen es gelassen.
Tourismusministerin María Reyes Maroto (47) fragte kürzlich, ob die Orientierung an den Infektionszahlen überhaupt noch der richtige Weg sei. Die Inzidenz als Gradmesser für das Risiko verliere angesichts der hohen Impfrate und der niedrigen Anzahl Corona-Patienten in den Spitälern an Bedeutung, erklärte die Ministerin. Spanien liege bei der Zahl der vollständig Geimpften vor Deutschland und die Todesrate sei niedriger.
Die hohen Infektionszahlen würden vor allem bei jungen Menschen registriert, die entweder gar keine oder nur milde Krankheitssymptome entwickelten. Die Behörden beobachteten die Lage genau. Ferien in Spanien seien auf jeden Fall sicher.
Briten öffnen sogar – trotz steigender Inzidenz
Auch in Grossbritannien steigen die Zahlen der Corona-Infizierten. Also wieder. Trotzdem heben die Briten am 19. Juli ihre Corona-Massnahmen auf. Keine Maskenpflicht mehr, kein Abstand, kein Homeoffice. Nachtclubs können wieder öffnen, Gäste in Pubs ihre Pints eng an eng geniessen. Für Veranstaltungen gibt es keine Zuschauerbegrenzungen mehr. Auch, weil die Hospitalisierungen nicht drastisch zugenommen haben.
Die Regierung geht zwar davon aus, dass die Zahlen weiter steigen werden. Sorgen macht man sich aber nicht. Der Impffortschritt sei so weit, dass man nun lerne müsse, mit dem Virus zu leben, erklärte Premierminister Boris Johnson (57). Bisher haben etwa zwei Drittel der Erwachsenen im Vereinigten Königreich – 34,5 Millionen Menschen – die für den vollen Schutz notwendigen zwei Impfdosen erhalten. (jmh)