Deutschlands erfolgreichster Corona-Politiker verrät Blick sein Pandemie-Rezept
«Es ist super wichtig, dass man keine Zeit verschwendet»

Selbst als Deutschland flächendeckend tiefrot war, blieb eine Stadt stets vom Virus verschont: Rostock. Hier regiert der Däne Claus Ruhe Madsen (48) – der in der Pandemie mit eigenwilligen Massnahmen auffiel.
Publiziert: 11.07.2021 um 18:36 Uhr
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Aktualisiert: 12.07.2021 um 07:23 Uhr
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Der parteilose Däne Claus Ruhe Madsen ist seit September 2019 Bürgermeister von Rostock.
Foto: Johannes Arlt/laif
Fabienne Kinzelmann

Rein rechnerisch hat die Rostocker Eishalle rund 200 Leben gerettet. So viel mehr Menschen wären laut Bundesschnitt in der Hansestadt an der mecklenburg-vorpommerschen Ostseeküste an Covid-19 gestorben. Bis heute sind es aber nur 43.

Und das liegt an der Eishalle.

Und an Claus Ruhe Madsen. Der Bürgermeister von Rostock hat im Kampf gegen Corona aus seiner Stadt quasi ein gallisches Dorf gemacht, nachdem ihm das Horror-Szenario klar wurde.

«Wir haben über Notspitäler geredet, wo wir die aufbauen. Wir sind Sporthallen durchgegangen, Schwimmhallen, Marmorsäle. Einer meinte: Wenn wir die Leute da hin bringen müssen, haben wir sie eigentlich schon aufgegeben. Und dann», sagt Madsen, sowas wie Deutschlands erfolgreichster Corona-Politiker, «dann erwähnte jemand die Eishalle».

Selbst im Videocall scheint man zu spüren, wie er noch immer Hühnerhaut bekommt, wenn er sich an diesen Moment erinnert, in dem ihm klar wurde, wie schlimm die Pandemie im ungünstigsten Fall werden kann. «Ich sagte, die Eishalle – ich bitte euch. Das wird doch kein so grosses Problem sein, dass wir Leute da behandeln müssen. Da haben die zu mir gesagt: Die brauchen wir, wenn unsere Krematorien nicht mehr ausreichen.»

«Es fehlte ja eigentlich an allem»

Der Däne Claus Ruhe Madsen, ein Endvierziger mit vollem Bart und markanter Brille, ist im Ruhrgebiet aufgewachsen und war lange Unternehmer. Im September 2019 wurde er Bürgermeister von Rostock. Schon ein halbes Jahr später kam Corona.

«Es ist echt erschreckend, wie das damals wirklich war. Es fehlte ja eigentlich an allem, nicht mal genug Schutzmaterial gab es. Wir hatten einen Pandemieplan, aber keine Erfahrung.» Den Plan hatte sich Madsen schon vorher mal angeguckt – aus Neugier. «Ich hab mich immer gewundert, dass da alles im Detail festgelegt ist. Das fand ich merkwürdig.» Das hat sich geändert. «Es ist super wichtig, dass man keine Zeit damit verschwendet, wen man zum Beispiel zu einer Krisensitzung einlädt.»

Konzert abgesagt, als es noch gar nicht Pflicht war

Madsens erste grosse Entscheidung: Ein Konzert mit 5500 Besuchern in der Stadthalle am selben Tag abzusagen. Es war der 11. März 2020, erst am Tag darauf beschloss die deutsche Regierung, das öffentliche Leben drastisch einzuschränken. Er könne das Konzert auch laufen lassen, sagte das für Rostock zuständige Gesundheitsamt. Eine Absage werde teuer, fürchteten Berater.

Madsen machte es trotzdem.

Der Ton für die folgenden anderthalb Jahre war damit gesetzt. Madsen ging mit den Rostockern seinen eigenen Weg, hörte Experten zu, las sich ein. Und fiel «durch einen besonders vorsichtigen und eigenwilligen Kurs auf», wie es immer wieder heisst, wenn der erfolgreiche Lokalpolitiker irgendwo vorgestellt wird.

«Ich hatte einen Vortrag vom Präsidenten des Robert-Koch-Instituts gehört. Der hat uns 30 Minuten lang erzählt, wie kritisch das Ganze ist. Und er meinte: Liebe Bürgermeister, es kommt jetzt auf euch an. Wir müssen die Verwaltung über Bord werfen. Es geht um Leben und Tod», sagt Madsen.

Rostock hat das Contact Tracing nie aufgegeben

Im Weg stehen dem emsigen Bürgermeister allerdings die Behörden. «Ich habe beschlossen, die Schulen zu schliessen, da hat mich die Ministerpräsidentin erstmal angerufen und gebeten, das nicht zu machen. Dann haben wir ruckzuck Kapazitäten für 5000 Tests pro Tag aufgebaut und bekommen erstmal nur eine Kiste mit 50 Tests geschickt», sagt Madsen.

Ein lokales Unternehmen habe dann ausgeholfen. «Dazu haben wir eine Telefonzentrale aufgebaut, Leute aus der Gewerbeaufsicht genommen und in die Kontakt-Nachverfolgung gesteckt, die Prozesse ständig optimiert.» Das Ziel: Nie, nie, nie das Contact Tracing zu verlieren.

Das hat geklappt.

Selbst als Deutschland flächendeckend tiefrot war, war die Corona-Lage in Rostock noch vergleichsweise entspannt. Nur einmal rutschte die Inzidenz kurz hoch.

Rostock impft auch schneller als andere Städte

Und Madsen belohnte seine Rostockerinnen und Rostocker: Wann immer möglich lockerte er, setzte auf Contact-Tracing per App, um Restaurants und Einzelhandel zu öffnen und liess schon Mitte März als Teil eines Experiments Hunderte Fans ins Fussballstadion – da war die Inzidenz gerade fünfmal niedriger als der bundesweite Durchschnitt.

Auch bei den Impfungen machte er Tempo. Früher als anderswo durften in Rostock Hausärzte piksen, 59 Prozent der Bevölkerung haben mindestens eine Dosis erhalten, 41 Prozent sind vollständig geimpft – je fünf Prozentpunkte mehr als der bundesweite Durchschnitt.

Madsen hat schon einen Zehnjahresplan für «seine» Stadt

Bis heute ist Madsen parteilos. «Diese ganzen Konferenzen und alles, das ist nicht so meine Welt.» Und auch den deutschen Pass hat er noch immer nicht beantragt. Eine Karriere in der Bundespolitik ist damit ausgeschlossen.

Aber aus Rostock weg will er eh nicht. «Für mich ist Bürgermeister der beste Job der Welt.» Er hat einen Zehnjahresplan, um die gesamte Verwaltung zu digitalisieren und die Hansestadt trotz ihrer abgeschiedenen Lage für Junge attraktiv zu machen.

Wer etwa innovative Wohnformen google, bei dem solle Rostock weit oben in den Suchergebnissen auftauchen. Madsen gerät ins Schwärmen, wenn er von seinen Ideen erzählt.

Ist er damit nur halb so erfolgreich wie in der Pandemie, dürfte das gut kommen.

Die Rostocker Eishalle, 2000 Zuschauer-Plätze und Heimat der «Rostock Piranhas», war nach Madsens Hühnerhaut als mögliches Leichenhaus vom Tisch. So weit, das war seinem Team klar, lässt es der Bürgermeister auf keinen Fall kommen.

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