Er agiert stets im Verborgenen und steht seit rund zwei Jahren dennoch permanent im Scheinwerferlicht: Kyrylo Budanow (38), der Hauptdirektor für Nachrichtendienste des ukrainischen Verteidigungsministeriums (GUR).
Im Jahr 2020 von Präsident Wolodimir Selenski (45) auf seinen Posten berufen, hat er sich spätestens seit dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs im Februar 2022 mit teils spektakulären Geheimdienstoperationen gegen die russischen Streitkräfte einen Namen gemacht. So beschuldigt etwa der Kreml die GUR, hinter einer Explosion auf der strategisch wichtigen Krim-Brücke im Oktober 2022 zu stecken.
«Zu sagen, dass alles in Ordnung ist, ist nicht wahr»
In der Ukraine geniesst Budanow deswegen schon fast Kultstatus. Dies ist für den 38-Jährigen aber mit einem schweren Preis verbunden. Rund zehn Attentatsversuche soll der GUR-Chef bereits überlebt haben. Er selbst bezeichnete diese jüngst in einem Interview mit der «Financial Times» als «nichts Besonderes». Weniger Glück hatte indes seine Frau Marianna (30), die im November mit Schwermetallen vergiftet wurde. «Sie ist in Behandlung, es geht ihr jetzt besser», so Budanow.
Der GUR-Chef ist sich durchaus bewusst, dass der Ukraine ein schwieriges Kriegsjahr bevorstehe. «Zu sagen, dass alles in Ordnung ist, ist nicht wahr. Zu sagen, dass es eine Katastrophe ist, ist ebenfalls nicht wahr», antwortet er auf die Frage, ob die gross angekündigte Gegenoffensive im vergangenen Jahr ihre Ziele denn tatsächlich erreicht habe.
Trotz angesprochener Schwierigkeiten zeigt sich Budanow optimistisch. Die Ukraine werde es immer noch schaffen, Kremlchef Wladimir Putin (71) in Schach zu halten, schliesslich hätten die ukrainischen Streitkräfte bereits bewiesen, dass «die ganze Legende von Russlands Macht eine Seifenblase ist.»
Mobilisierung als grosse Herausforderung
Damit die Ukraine auch künftig der russischen Armee etwas entgegensetzen kann, ist das Land jedoch dringend auf neue Rekruten angewiesen. Schliesslich verfügt die Ukraine nicht über dieselben Mobilisierungsmöglichkeiten wie Russland. «Es ist nicht einmal denkbar, dass wir auf eine Mobilisierung verzichten können. Der Mangel ist spürbar», sagt auch der GUR-Chef, der als ehemaliger Soldat der Spezialeinheiten im Jahr 2014 an geheimen Missionen auf der besetzten Halbinsel Krim teilnahm.
Jedoch sieht Budanow auch bei den russischen Streitkräften einige empfindliche Schwachstellen. So etwa in der Rüstungsproduktion. Russland würde viel mehr Waffen ausgeben und verbrauchen, als es tatsächlich herstellen könne. Dazu kämen laut dem GUR-Chef Probleme mit der Qualitätskontrolle. «Genau das erklärt Russlands Suche nach Waffen in anderen Ländern.»
Zwar hätte Russland durch die Waffenlieferungen aus Nordkorea, dem derzeit grössten Waffenlieferanten Russlands, etwas Boden gut machen können. Trotzdem: «Ohne ihre Hilfe wäre die Situation katastrophal gewesen.»
Ebenfalls schwierig dürfte sich für die Russen künftige Mobilisierungen erweisen. Denn Moskau verliere derzeit mehr Truppen, als es effektiv rekrutieren könne, so Budanow. Gemäss seinem Adjutant Vadim Skibitsi, würden derzeit täglich rund 1000 bis 1100 Personen der russischen Armee beitreten, sei es freiwillig oder durch Mobilisierung.
Zweifelt an Prigoschins Tod
Wo es dennoch Löcher zu stopfen gebe, kämen Söldnertruppen, wie etwa die berüchtigte Wagner-Gruppe zum Zug. Deren Boss Jewgeni Prigoschin (†62) kam im vergangenen August bei einem ominösen Flugzeugabsturz ums Leben.
Daran will Budanow aber nicht recht glauben. «Wagner existiert», sagt er und weist Berichte zurück, wonach das Unternehmen aufgelöst worden sei. «Und was Prigoschin betrifft, so würde ich nicht so schnell Schlussfolgerungen ziehen.» Der Kreml bestreitet bis heute, seine Finger bei Prigoschins Tod im Spiel gehabt zu haben, und verweist auf die DNA, die den Tod des ehemaligen Söldner-Bosses beweisen soll.
«Ich sage nicht, dass er nicht tot ist oder dass er tot ist», sagt Budanow. «Ich sage nur, dass es keinen einzigen Beweis gibt, dass er tot ist.» (ced)