Die Ukraine spricht kaum über sie, aber immer wieder sorgen sie für Aufruhr: Drohnenangriffe auf Ziele tief in Russland. Russischen Medienberichten zufolge hat es in diesem Jahr mehr als 120 mutmassliche Drohnenangriffe in Russland gegeben.
Allein in Moskau gab es seit einem mutmasslichen Angriff auf den Kreml am 3. Mai sechs Anschläge. Am 1. August erklärten die russischen Behörden, dass ein Wolkenkratzer zweimal innerhalb von zwei Tagen attackiert wurde. Aber warum wendet die Ukraine so viele Ressourcen auf, um bis weit ins Landesinnere Russlands zu schiessen?
Psycho-Terror für Russland
Das Ziel der Angriffe auf Moskau ist laut Analysten nicht grossflächige Zerstörung oder Blutvergiessen. Vielmehr möchte das ukrainische Militär die russische Bevölkerung in Angst und Schrecken versetzen.
Damit säen die Ukrainer nicht nur Zweifel an einem russischen Sieg in der russischen Bevölkerung, sondern beeinflussen auch die Rekrutierung neuer Soldaten in Russland. Das Rekrutieren durch die russische Regierung holpert laut dem «Economist»: Bei der letzten Einberufung zum Wehrdienst waren es dem Magazin zufolge etwas mehr als 140’000 junge Männer; die tatsächliche Zahl dürfte niedriger sein.
Auch wenn diese tiefe Zahl nicht allein an den ukrainischen Drohnenangriffen liegt, könnten diese doch einschüchternd auf potenzielle Rekruten wirken.
Verlegung der Luftverteidigung
In Russland zeigen die Drohnenangriffe vor allem eins: Es fehlt an Luftabwehr rund um Moskau. Laut dem freien ukrainischen Journalisten Denis Trubetskoy sind die vermehrten Drohnenangriffe eine «natürliche Entwicklung dieses Krieges», wie er auf Twitter erklärt.
Die Ukraine schlage nun mit derselben Taktik zurück, die Russland bereits seit dem 24. Februar 2022 anwendet: jederzeit und überall einen Luftschlag ausüben. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die Luftabwehr allzeit bereit sein muss, Angriffe im ganzen Land abzuwehren.
Mehr zu den Drohnen-Angriffen auf Moskau
«Manch ein Flugabwehrsystem, welches stattdessen in der Frontnähe eingesetzt werden könnte, bleibt deswegen tief im Hinterland», erklärt Trubetskoy im Hinblick auf die Ukraine. Für Russland bedeuten die Angriffe eher, dass sie wichtige Luftabwehrsysteme von der Front ins Innere des Landes verschieben müssen. Dies führt dazu, dass Lücken an der Front entstehen, welche die Ukraine ausnutzen kann.
Zerstörung der feindlichen Logistik
Layla Guest, Analystin bei der Sicherheitsberatung Sibylline, sagt zur BBC: «Die ukrainischen Streitkräfte nehmen vorrangig die russische Logistik ins Visier, um ein Maximum an Störungen zu verursachen.» Beobachten konnte man dies vor allem Anfang Jahr im russisch-ukrainischen Grenzgebiet und auf der Krim. Aktuell sind solche Angriffe auch in der Nähe von Moskau zu beobachten.
Im März wurde auf der Krim der Eisenbahnknotenpunkt Dschankoj von ukrainischen Drohnen stark beschädigt. Das Ziel dieser Aktion: russische Versorgungsketten zu unterbrechen, damit die Truppen an der Front nicht mehr mit Material versorgt werden können. Ähnliches könnten die Ukrainer auch mit den aktuellen Angriffen auf Ölraffinerien und Munitionslager im Innern Russlands im Sinn haben.
Ukraine will Angriffe nicht stoppen
Ein Ende der ukrainischen Drohnenangriffe ist nicht in Sicht. Ukrainische Beamte haben laut «New York Times» angedeutet, dass Drohnen weiterhin Ziele in Russland angreifen werden.
«Der einzige Weg, diese Art von Angriffen zu stoppen», so Andriy Yusow (40), Sprecher des ukrainischen Militärgeheimdienstes, «ist der sofortige Abzug der russischen Besatzungstruppen aus der Ukraine und die Wiederherstellung unserer Souveränität».