Foto: Screenshot Blick

Überwachungskamera filmte Gondel-Drama vom Monte Mottarone
Schock-Video empört Italien

Die italienische Tagesschau «TG3» veröffentlicht ein Video, das es in sich hat. Es zeigt die letzte Minute der Opfer des Gondel-Dramas. Man sieht wie das Zugseil reisst, die Kabine talwärts saust und in die Luft katapultiert wird. Jetzt steht RAI in der Kritik.
Publiziert: 17.06.2021 um 15:28 Uhr
|
Aktualisiert: 17.06.2021 um 16:55 Uhr
1/11
Italien ist schockiert – Polizist leakte schreckliches Video des Mottarone-Absturzes. Die Staatsanwaltschaft kritisiert die Veröffentlichung.
Foto: Screenshot Blick
Myrte Müller

Wie das Gondel-Unglück geschah, konnte man vielerorts lesen. Doch mit eigenen Augen zu sehen, wie 14 Menschen in den Tod stürzen, trifft mitten ins Herz. Und doch war genau dies möglich. 52 schockierende Sekunden lang. Ein Klick reichte.

Dem öffentlichen TV-Sender RAI TRE wurden kopierte Aufnahmen der zwei Überwachungskameras an der Bergstation der Seilbahn von Stresa zugeschanzt. Die zwei Videos wurden vom Monitor der Carabinieri abgefilmt und dem Sender zugeschickt. Von wem, ist noch unklar. Die regionale Tagesschau stellt die Videos gestern ins Netz. Ihr schrecklicher Inhalt verbreitet sich wie ein Lauffeuer durch sämtliche Social Media.

Die Gondel war fast angekommen

Hunderttausende verfolgten weltweit die letzte Minute der in der Gondel gefangenen Menschen: Es ist kurz nach 12 Uhr. Die Kabine Nr. 3 will gerade in die Bergstation auf dem Monte Mottarone einfahren – drei Meter fehlen noch. Ein Mitarbeiter steht schon parat, um die Türen zu öffnen. Die Menschen an Bord greifen ihre Taschen. Sie wollen aussteigen.

Plötzlich schaut der Seilbahnwart nach oben. Er hat ein Geräusch gehört. Eine Sekunde später reisst das Zugseil. Die Gondel, die praktisch schon stand, kippt abrupt nach hinten, wirft die Menschen durch die Kabine. Dann rast sie talwärts. Sie wird immer schneller. Nach 400 Metern Abschussfahrt springt die Gondel am ersten Mast vom Tragseil und fliegt durch die Luft. Der Seilbahnwart weicht unterdessen dem zurück peitschenden Zugseil aus, rennt in die Station und ruft über Handy um Hilfe.

«Es war ein aussergewöhnlicher Notruf»
2:32
Retter berichtet vom Unglück:«Es war ein aussergewöhnlicher Notruf»

Staatsanwältin verärgert über die Veröffentlichung der Schock-Videos

Das Video erschüttert. Es reisst Wunden auf. Besonders bei den Angehörigen der Toten. Muss die Öffentlichkeit so nah an so einem Drama sein? Reichten nicht die Zeilen der Berichte, die Zeugenaussagen? Mussten auch die bewegten Bilder her? Viele Medien publizierten die Aufnahmen. Und ernten nun viel Kritik.

Die Veröffentlichung dieser Bilder sei verboten, schimpft Olimpia Bossi, da sie wichtige Dokumente für die laufenden Voruntersuchungen seien. «Ich muss zudem betonen, wie vollkommen unangebracht es ist, die letzten dramatischen Lebensmomente der Fahrgäste der Seilbahn zu veröffentlichen, die am 23. Mai am Mottarone abstürzten», so die Staatsanwältin weiter.

«Schaut euch das Video nicht an!»

Auch Stresas Bürgermeisterin ist ausser sich. «Ich hatte auf leisere Töne seitens der Medien gehofft, um die Familien der Opfer zu schonen», sagt Marcella Severino gegenüber ANSA. Im Netz wächst der Shitstorm. «Ich bin erschüttert über die Veröffentlichung der Videos», twittert der Politiker Enrico Borghi, «der Schmerz der Angehörigen muss respektiert werden. In dieser Gesellschaft aber verwandeln wir ihn zur Show. Nein!» Laura Garavini von der Italia-Viva-Partei fordert die User auf: «Schaut euch nicht das Video an!».

Doch es gibt auch andere Argumente. Die Aufnahmen der Überwachungskameras wurden für alle Prozessteilnehmer freigegeben. Somit ist eine strikte Geheimhaltung laut italienischem Gesetz nicht mehr gegeben und grundsätzlich die Veröffentlichung erlaubt.

Dazu kommt die Empörung, auch seitens der Medien, als die Untersuchungsrichterin die drei Hauptverdächtigen wenige Tage nach dem Unglück aus der U-Haft entliess (Blick berichtete). Der Geschäftsführer und der Wartungstechniker gelten gar als unbescholtene Bürger. Und das, nachdem bewiesen wurde, dass die Notbremse der Unglücksgondel absichtlich ausser Kraft gesetzt worden war, um Reparaturkosten zu sparen. Die Richterin wurde abgesetzt, eine Neue mit der Untersuchung beauftragt. Doch noch immer sind die Verantwortlichen auf freiem Fuss.

Weiter den Finger in die Wunde legen

Italiens Medien wollen nicht schweigen. Sie wollen den Finger in der Wunde halten. «Ich habe die Videos immer wieder gesehen. Natürlich erschüttert es, wenn man an die Panik denkt, die diese 14 Opfer erlebt haben müssen. Wird jemand für ihr Leiden und ihren Tod bezahlen?», fragt der Journalist Clemente Mimum auf Twitter.

Auch La Stampa nimmt offiziell Stellung. Die Kraft der Bilder, auf denen kein Opfer klar zu erkennen sei, sei stärker als tausend Worte und zeige deutlich, wie sehr eine funktionierende Notbremse das Drama hätte verhindern können.

Trotz diesen Argumenten verzichtet Blick darauf, das Video zu zeigen.

Fehler gefunden? Jetzt melden