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Trotz schlechter Corona-Bilanz
Tausende europäische Party-Touristen feiern in Madrid

Anders als in den meisten europäischen Städten herrscht in der spanischen Hauptstadt Madrid Party-Laune. Menschen aus ganz Europa pilgern zum Feiern hierher – trotz schlechter Corona-Bilanz.
Publiziert: 03.03.2021 um 14:48 Uhr
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Aktualisiert: 03.03.2021 um 14:59 Uhr
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In Madrid herrscht Feierlaune.
Foto: imago images/Lagencia

Man sieht und hört sie dieser Tage nicht nur in Chamberí, sondern fast überall in der spanischen Hauptstadt: coronamüde Europäer, darunter vor allem Franzosen wie die Studentinnen Julie und Anne, die zu Tausenden nach Madrid strömen, um der Tristesse und den Einschränkungen in der Heimat zu entkommen. Denn während in Paris, Toulouse und fast ganz Europa Corona-Lockdown herrscht, dürfen hier nicht nur Restaurants und Kneipen Gäste empfangen. Auch Kinos, Museen und andere Freizeiteinrichtungen dürfen öffnen.

Madrid ist eine «Party-Oase» geworden, «eine Insel im Meer der Restriktionen in den europäischen Metropolen», wie die Zeitung «El País» schrieb. Und dem Lockruf erliegen vor allem Franzosen. Das stellen Medien und auch Gastwirte fest, die sich die Hände reiben. Im Zentrum Madrids, wo man besonders auf Touristen angewiesen ist, sind die Besucher aus dem Nachbarland Retter in der Not. «Die Franzosen sorgen derzeit für die Hälfte unserer Einnahmen», sagt Kellner José der Deutschen Presse-Agentur auf der Plaza Mayor.

Gute Laune überall

Schon im Januar haben die Franzosen die langjährigen Spitzenreiter der spanischen Besucherliste überholt. Mehr als 117'000 waren es laut Statistikbehörde INE - und nur gut 51 000 Deutsche sowie 23'000 Briten. Oft sind es Landsleute, die Reisen schon für 150 Euro organisieren. Flug, Unterkunft mit Vollpension - und oft auch eine (illegale) Party inklusive. Madrids Polizei teilte mit, man habe am Wochenende 442 illegale Feiern aufgelöst - eine Rekordzahl.

Die Franzosen in Madrid dürsten halt nicht nur nach Wein und Bier unter freiem Himmel, sondern auch nach Kontakten. Nicht nur Anne und Julie sprechen gern mit dem dpa-Reporter, mit den Spaniern am Nebentisch, mit der Kellnerin und Strassenmusikern. Adrien, der mit dem Wagen und drei Kumpels gekommen ist, schimpft auf die Zustände daheim: «Klar, man muss auf dieses verdammte Virus aufpassen. Aber ohne soziale Kontakte kann man doch nicht leben.»

Kultur weckt grosses Verlangen

Auf den beliebten Feierabendtrunk auf den Terrassen müssen die Menschen in Frankreich seit Monaten verzichten - schweren Herzens. Ein Restaurantbesuch fehlt gut jeder zweiten Person am meisten, wie eine Umfrage Mitte Februar ergab. Gerade die jungere Generation hungert aber auch nach Ausgehen und Feiern. Knapp ein Drittel der 18- bis 24-Jährigen gaben an, dass ihnen dies mit am meisten fehle.

Grosses Verlangen gibt es in Frankreich auch nach Kultur. Theater, Museen und Kinos sind ebenfalls seit Ende Oktober zu. Über 70 Prozent wünschen sich eine Wiedereröffnung. Doch angesichts steigender Corona-Zahlen könnte alles noch eine Weile geschlossen bleiben. Seit Wochen wird über die erneute Einführung eines noch strikteren Lockdowns diskutiert, bei dem die Menschen zu Hause bleiben müssen. In manchen Gebieten ist dieser bereits in Kraft, zumindest an den Wochenenden.

Corona-Lage kaum unter Kontrolle

Während in Frankreich eine Ausgangssperre ab 18 Uhr gilt, muss man in Madrid erst um 23 Uhr wieder zu Hause sein. Und während andernorts über Verlängerungen und Verschärfungen von Restriktionen diskutiert wird, erwägt man in Madrid nun sogar eine Aufhebung der nächtlichen Ausgehsperre. «Das ist unser erstes Ziel für die nächsten Tage», sagte Vize-Regionalpräsident Ignacio Aguado.

Aber wieso darf sich Madrid das alles leisten? Ist die Corona-Lage dort inzwischen so gut? «Ich kenne die Zahlen nicht, aber ich denke schon. Oder?», sagt Julie, die französische Touristin. Nein - im Gegenteil. Mit 120 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen steht Madrid so schlecht da wie keine andere der 17 Regionen Spaniens. Auch viele französische Städte haben niedrigere Zahlen. Und die Schweiz weist Werte von rund 80 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner auf.

Regionalpräsidentin sorgt für gemischte Gefühle

In Madrid, wo Regionalpräsidentin Isabel Díaz Ayuso zur Heldin der Gastronomen, Unternehmer und des Party-Volks avanciert, sieht man das derweil aus einer anderen Perspektive. Mit dem soften Kurs habe man die Sieben-Tage-Inzidenz, die Ende Januar noch bei deutlich über 400 lag, schnell runtergedrückt, ohne ein derart schlimmes Ladensterben wie in anderen Regionen Spaniens erleiden zu müssen.

Nachdem bekannt wurde, dass Spanien erstmals seit 2016 wieder mehr als vier Millionen Arbeitslose hat, warfen die Konservativen der linken Zentralregierung vor, mit ihren Lockdown-Empfehlungen eine «absolute Katastrophe» zu verursachen. In Madrid werde man den liberalen Kurs fortsetzen, «denn ohne Jobs keine Zukunft», so die 42-jährige. Ihre Fans jubeln: «Gut, dass wir sie haben in Madrid», rief TV-Starmoderator Pablo Motos schon vor einiger Zeit.

Foto? Lieber nicht

Doch Díaz Ayuso sorgt mit ihrem Kurs nicht nur für Begeisterung, sondern auch für Neid und Missgunst. Denn obwohl sie weit bessere Zahlen als Madrid haben, leiden die Regionen Valencia, Murcia oder die Balearen mit Mallorca (die alle Sieben-Tage-Inzidenzen von 30 bis 35 haben) unter dem Lockdown oder zum Teil auch regionalen Absperrungen. Nur mit triftigem Grund darf man dort dann ein- oder ausreisen. «Toll - die Franzosen machen High Life in Madrid, und viele Spanier dürfen Verwandte monatelang nicht sehen», kommentierte etwa Bea auf Twitter.

Dass die Nerven in Corona-Zeiten besonders angespannt sind, wissen auch Julie und ihre Freunde. Schüchtern werden sie nur, als sie nach einem Foto gefragt werden. «Für einen Zeitungsbericht? Lieber nicht. Wir wollen daheim nicht als böse Lockdown-Brecher geoutet werden.» (SDA)

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