Im Sommer 2023 dominierten die Folgen des Klimawandels die Gespräche. Im Wallis, in Griechenland und in Kanada brannten die Wälder. Der diesjährige September war weltweit der wärmste jemals gemessene September.
Vorbei ist es noch lange nicht: 2023 ist auf dem Weg, zum wärmsten Jahr seit Messbeginn zu werden. Und zwar mit Abstand. Mika Rantanen vom Finnischen Meteorologischen Institut schreibt: «Ich habe Schwierigkeiten zu begreifen, wie ein einziges Jahr im Vergleich zu den Vorjahren so stark ansteigen kann.»
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Man könnte meinen, dass europäische Umweltparteien von diesen Umständen profitieren könnten. Schliesslich sind sie diejenigen, die sich seit jeher für genau diese Anliegen einsetzen. Doch Europa sieht sich einem wachsenden Widerstand gegen Massnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und zum Schutz der Umwelt gegenüber, wodurch seine grüne Agenda ins Wanken gerät. Warum?
Grüne Parteien haben in Europa schweren Stand
In den meisten europäischen Ländern belegen grüne Parteien nicht die Spitzenplätze im politischen Ranking. In den Niederlanden würden nur acht Prozent der Bürger die Grüne Partei an den Parlamentswahlen im November wählen, lautet die Prognose. In der Schweiz werden die Grünen bei den Wahlen im Oktober beinahe drei Prozent der Stimmen verlieren, so die Tamedia-Wahlumfrage. In Deutschland sind es derer 14 Prozent, laut der Sonntagsfrage für die Wahlen 2024.
Bei den griechischen Wahlen im Mai letzten Jahres erhielt das Bündnis Ökologisch-Grüne-Einheit nur 0,6 Prozent der Stimmen. Die französischen Grünen erreichten bei den Parlamentswahlen 2022 nicht einmal drei Prozent der Stimmen. Und in Spanien hat nur eine von drei grünen Parteien überhaupt Sitze im Parlament.
«Klimawandel sexy zu machen – beinahe unmöglich»
Warum das so ist, fragt sich auch Jonathan B. Slapin, der am Europainstitut der Uni Zürich forscht. Seine Antwort fällt trocken aus: «Dass es im Oktober nun wärmer ist, ist halt kein Problem für die Wähler. Die haben akutere Probleme.» Steigende Krankenkassenprämien. Steigende Lebensmittelpreise. Steigende Mieten. «Dagegen verlieren schmelzende Gletscher haushoch.»
Die Wahlthemen der grünen Parteien in ganz Europa sind schlichtweg nicht attraktiv genug für eine Mehrheit der Wähler, erklärt Slapin. Der Klimawandel sei für viele Menschen trotz der Rekordhitze dieses Jahr noch immer zu weit weg, zu abstrakt. «Klar können sie auch versuchen, Klimawandel sexy zu machen – aber das ist beinahe unmöglich.»
Es sei wichtig, dass sich die grünen Parteien auch mit anderen sozialen Problemen befassen und diese auf das Parteiprogramm nehmen. «Sie müssen als normale Mitte-Links-Partei betrachtet werden.» Die europäischen Umweltparteien müssten versuchen, ihr Programm breiter aufzustellen, sagt Slapin. Kurz: «Die Grünen müssen weniger grün werden.»