Bei den mutigen Protesten in Kabul stehen Frauen an vorderster Front. Bei ihnen geht es seit der Machtübernahme der Taliban um viel. Die Bildung für Mädchen und auswärtige Arbeit sind in Gefahr, es gelten wieder diskriminierende Kleidervorschriften und brutale Scharia-Strafen.
Am Mittwoch demonstrierten rund 20 Frauen im Stadtteil Dascht-e Bartschi im Westen der Hauptstadt Kabul, wie auf Videos in sozialen Medien zu sehen war und lokale Journalisten berichteten. Die Frauen riefen «Ein Kabinett ohne Frauen wird versagen» und kritisierten damit die am Dienstag verkündete Übergangsregierung der Taliban, die ein reines Männerkabinett ist.
Sie hielten auch Schilder mit den Worten «Arbeit, Bildung, Freiheit» und «Wieso sieht die Welt stillschweigend zu?» hoch und drängten Taliban-Sicherheitsleute zurück.
In Kabul finden den dritten Tag in Folge Proteste statt. Die Demonstrationen richteten sich bisher teils gegen eine Einmischung Pakistans in Afghanistan, forderten teils mehr Frauenrechte oder kritisierten die gewaltsame Übernahme der Provinz Pandschir durch die Taliban am Montag.
Frauen sind klüger
Gegenüber dem «Spiegel» sagte eine 24-jährige Wirtschaftsstudentin am Telefon: «Wir haben die Verpflichtung, etwas zu unternehmen. Unsere Heimat gehört nicht nur den Männern.» Bis zum Machtwechsel studierte sie an einer Kabuler Privatuniversität und führte ein Start-up für ökologische Landwirtschaftserzeugnisse.
Mit vier Studentinnen hat sie eine Demonstration organisiert, an der rund hundert Frauen teilnahmen. Sie protestierten für ihre Rechte und gedachten der im Krieg gegen die Taliban gefallenen Soldaten – eine Provokation für die neuen Herrscher. «Sie haben uns eingekreist, mit Tasern und Tränengas beschossen, eine von uns wurde blutig geschlagen», berichtet die mutige Afghanin.
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Die Taliban hätten gespürt, dass die Frauen klüger seien als sie. «Genau davor haben sie Angst. Sie können uns ja nicht mal anschauen», berichtet sie.
Taliban ziehen Schraube an
Bisher reagierten die Taliban gegen Demonstrationen vor allem mit Drohgebärden und Schüssen in die Luft. Doch inzwischen scheint der Wind zu drehen. Am Dienstag sagte Taliban-Sprecher Zabiullah Mudschahid mit aller Deutlichkeit, dass die Demonstrationen vom Ausland gesteuert und illegal seien. Und, dass man sie nicht tolerieren werde.
So verhinderten die Islamisten in den Provinzen Gasni und Ghor am Dienstag laut Einwohnern Demonstrationen. In der Stadt Herat im Westen kam es am Dienstag zu gewaltsamen Zusammenstössen. Ein Aktivist aus der Stadt sagte am Mittwoch, es seien mindestens zwei Demonstranten getötet und sieben verwundet worden, nachdem Taliban Schüsse abgefeuert hatten, um die Demonstranten auseinanderzutreiben.
Doch die Proteste machen immer mehr Frauen Mut. Eine Frau aus Herat, die für die US-Botschaft, eine deutsche Baufirma und als Rechtsberaterin des gestürzten Präsidenten gearbeitet hatte, fürchtet zwar um ihr Leben, weil ihre Daten den Taliban in die Hände gefallen sind. Gegenüber dem Spiegel sagt sie aber: «Wir wollen nun auch auf die Strasse gehen.» Und fügt an: «Wer, wenn nicht wir?» (gf)