Die gegen 4000 Raketen, die innert neun Tagen aus dem Gazastreifen nach Israel abgefeuert wurden, könnten nur der Vorgeschmack auf einen noch grösseren Angriff gewesen sein. Im Libanon sind schätzungsweise 150’000 Raketen stationiert, von denen viele nicht nur schwerer, sondern auch präziser sind als die Billig-Geschosse der radikalen Palästinenser im Gazastreifen.
Bereits in der Nacht auf Dienstag wurden im Libanon die ersten Raketen gezündet. Die sechs Geschosse gingen allerdings alle auf libanesischem Boden nieder. Vermutlich steckt eine Palästinensergruppe hinter dem Angriff.
Radikale spannen zusammen
Aber auch die radikal-islamische Hisbollah bringt sich im Libanon in Stellung. Am Montag hatte sich deren Nummer zwei, Naim Kassim (68), mit Vertretern der radikalen Palästinenser-Organisation Hamas und des mit ihr verbündeten Islamischen Dschihad getroffen.
Die schiitische Terror-Organisation ist eng mit Israels Erzfeind Iran verbündet und wird von ihm unterstützt. Sie kontrolliert mit ihrer rund 25’000 Mann starken Miliz unter anderem den Süden des Libanons und damit die Grenze zu Israel, wo es immer wieder zu Spannungen kommt. Zuletzt hatte es 2006 einen Krieg zwischen der Hisbollah und Israel gegeben.
«Tel Aviv, wir kommen!»
Mit jeder Rakete, die Israel als Vergeltung in den Gazastreifen abfeuert, wächst die Wut bei der Hisbollah. Am Montag liess sie ihre Anhänger in Dahieh aufmarschieren, ihrer Hochburg im Süden der Hauptstadt Beirut. «Wir befinden uns mit unsern Brüdern in Palästina in derselben Schlacht und an derselben Front, euer Kampf ist unser Kampf», sagte der hochrangige Hisbollah-Führer Haschim Safi al-Din (57). Und die Anhänger schrien drohend: «Tel Aviv, wir kommen!»
Es gibt aber zwei Gründe, die die Hisbollah vorderhand von einem Zweifrontenkrieg gegen Israel abhalten. Sie muss auf die Interessen des Irans Rücksicht nehmen. Denn Teheran ist zurzeit darum besorgt, zum Atomabkommen von 2015 zurückzukehren, um die Aufhebung der Sanktionen zu erreichen.
Zudem befindet sich der Libanon neun Monate nach der verheerenden Explosion im Hafen von Beirut immer noch in einer tiefen politischen und wirtschaftlichen Krise.
Netanyahu schliesst nichts aus
Am Mittwoch sagte der israelische Premierminister Benjamin Netanyahu (71), dass es im Kampf gegen die Hamas nur zwei Möglichkeiten gebe: «Man kann sie entweder erobern – das ist immer eine Möglichkeit –, oder man kann sie abschrecken.» Zurzeit setze man auf starke Abschreckung, «aber ich muss sagen, wir schliessen nichts aus».
Entschiede sich Netanyahu für eine Eroberung, wäre die Hisbollah wohl nicht mehr zu halten. Ein Zweifrontenkrieg würde das Pulverfass definitiv zum Explodieren bringen.