Auf einen Blick
Im vergangenen Jahr tötete Israel mindestens 15 hochrangige Mitglieder der Terrororganisationen Hamas und Hisbollah. Vor allem in den vergangenen zwei Monaten jagte eine Todesmeldung die nächste. Es ist eine Art morbide Höchstleistung des israelischen Verteidigungsapparats. Zuletzt tötete Israels Armee Jahia Sinwar (†61), den Verantwortlichen für den Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober 2023. Damit löst Ministerpräsident Benjamin Netanyahu (74) sein Versprechen ein, die Verantwortlichen für den 7. Oktober auszulöschen. Doch kann eine Organisation wie die Hamas so wirklich besiegt werden?
Israels «Osama bin Laden»-Moment
Der Tod Sinwars ist Israels «Osama bin Laden»-Moment. Seit der Gründung der Hamas war er ein führendes Mitglied der Gruppe. Nach dem Terrorangriff am 7. Oktober 2023 galt Sinwar als Israels Staatsfeind Nummer eins – aufgrund seiner Planung starben 1200 zivile Israelis an nur einem einzigen Tag. Netanyahu erklärte ihn zu Beginn des Kriegs zum «toten Mann», nun ist er es wirklich. Doch Sinwar ist bei weitem nicht der einzige hochrangige Hamas-Führer, den Israel während dieses Kriegs ausschaltete.
Ismail Hanija (†62), der politische Führer der Hamas und dessen Stellvertreter, Saleh al-Arouri (†57). Mohammed Deif (†59), der Leiter des militärischen Hamas-Flügels und Marwan Issa (†59), Deifs Stellvertreter. Sie alle wurden während des laufenden Gaza-Kriegs von Israel getötet. Auch die Hisbollah, die die Hamas unterstützt, musste herbe Verluste hinnehmen: Im September tötete Israel Hassan Nasrallah (†64), den Hisbollah-Führer. Zuvor kamen mindestens neun andere hohe Hisbollah-Führungspersonen durch Israel ums Leben.
Das muss man sich einmal vorstellen: 15 hochrangige Führer zweier unterschiedlicher Terrororganisationen innert etwas mehr als einem Jahr. Zum Vergleich: Den USA gelang es erst nach 15 Jahren, Osama bin Laden (1957–2011), den Führer der terroristischen Al-Qaida, aufzuspüren und zu töten. Doch wird diese morbide Höchstleistung Israel dazu verhelfen, wie erhofft den «Krieg gegen den Terror», wie es Netanyahu nennt, zu gewinnen?
Sind «Enthauptungen» das Mittel zum Sieg gegen den Terror?
Die Taktik, die Israel gegen die Hamas und Hisbollah anwendet, wird in Fachkreisen «Enthauptung» genannt – also die Auslöschung wichtiger Führungsfiguren einer Organisation. Die Idee dahinter: Ohne wichtige Führungspersonen ist die Terrororganisation massgeblich geschwächt oder löst sich gar auf. Es gibt einige Beispiele, in denen die Beseitigung eines Anführers endgültige Siege über der Organisation erbrachten. Als der israelische Geheimdienst Mossad Wadi Haddad (1927–1978), den Anführer einer abtrünnigen Fraktion der Volksfront zur Befreiung Palästinas, tötete, löste sich dessen Gruppe auf.
Doch es gibt auch andere Beispiele: In Afghanistan wurde die Tötung einer Reihe von Taliban-Führern seinerzeit gelobt, änderte aber nichts an den regionalen und lokalen Umständen, die der Bewegung letztlich ihre Stärke verliehen. Die Taliban wurden zweifellos durch ihre Verluste geschädigt, aber sie waren dennoch in der Lage, die Macht im Jahr 2021 wieder zu übernehmen.
Zurück zum Konflikt in Gaza: Tatsächlich gelang es Israel, die militärischen Fähigkeiten der Hamas schwer zu beschädigen: Nach Angaben der israelischen Regierung haben die israelischen Verteidigungskräfte mehr als 17'000 von insgesamt 25'000 bis 35'000 Hamas-Kämpfern getötet. Gleichzeitig muss aber auch anerkannt werden: In den letzten 20 Jahren tötete Israel bereits viele Führer und fähige Mitarbeiter der Hamas. Jeder dieser Tode erzwang zwar einen Wandel innerhalb der Organisation, aber selten den von Israel erwünschten: die vollständige Auslöschung der Hamas.