Auf einen Blick
Am Freitag tötete die israelische Armee in Beirut den Anführer der Hisbollah-Miliz, Hassan Nasrallah (†64). Dann hat sie verschiedene Ziele im Libanon, im Gazastreifen, in Syrien und im Jemen angegriffen. In der Nacht auf Dienstag startete Israel eine Bodenoffensive gegen die Hisbollah-Miliz im Libanon. Damit hat die Lage in Nahost eine neue Eskalationsstufe erreicht. Vor der Uno hatte der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanyahu (74) schon letzte Woche gewarnt: «Es gibt keinen Ort im Iran, den der lange Arm Israels nicht erreichen kann. Und das gilt für den gesamten Nahen Osten.» Ist das der Anfang eines umfassenden Krieges?
Wo hat Israel zuletzt zugeschlagen?
Hisbollah-Chef Nasrallah wurde durch einen israelischen Luftschlag getötet. Die bunkerbrechenden Bomben seien von einer Formation von mindestens zehn Kampfjets über dem unterirdischen Hauptquartier der Hisbollah im Süden von Beirut abgeworfen worden, so israelische Medien.
Ebenfalls in Beirut wurden daraufhin drei Anführer der Gruppe «Volksfront zur Befreiung Palästinas», die auf der EU-Liste für Terrororganisationen steht, bei einem israelischen Luftangriff getötet.
Im Jemen haben nach Angaben der israelischen Armee Dutzende Kampfflugzeuge Ziele bombardiert, unter anderem Kraftwerke und einen Hafen, über den die Huthi-Miliz iranische Waffen und militärische Vorräte transportiert haben soll.
In der syrischen Hauptstadt Damaskus sollen israelische Kampfjets ein von der Hisbollah genutztes Haus zerstört haben.
In der Nacht auf Montag liess Benjamin Netanyahu seine Armee erneut eine Kommandozentrale der Hamas in Gaza sowie Stellungen der Hisbollah-Miliz im Libanon attackieren. In der Nacht auf Dienstag startete dann eine Bodenoffensive. Die israelische Armee sprach zunächst von «begrenzten» Angriffen auf Ziele in Grenznähe.
Wer sind die Gegner Israels?
Die israelischen Angriffe der letzten Tage richten sich primär gegen die «Achse des Widerstands», eine vom Iran geführte Koalition, die gegen Israel und den Westen gerichtet ist.
Die Hisbollah im Libanon gilt als wichtigster Verbündeter Teherans. Zur «Achse» gehören zudem der Islamische Widerstand und weitere Milizen im Irak, das syrische Assad-Regime und die jemenitischen Huthi-Rebellen. Auch die Al-Ashtar-Brigaden im Bahrain sowie die Hamas und der Islamische Dschihad in den Palästinensergebieten werden dazu gezählt.
Was sind die Reaktionen?
Der iranische Ayatollah Ali Chamenei (85) hat Rache geschworen. Ähnliches sagte er aber auch, nachdem Hamas-Führer Ismail Hanija (†62) im Juli in Teheran getötet wurde. Damals blieb eine direkte Konfrontation aus.
Die libanesische Regierung hat nach der Tötung von Hisbollah-Chef Nasrallah eine dreitägige Staatstrauer angeordnet.
US-Präsident Joe Biden (81) will angesichts der weiteren Eskalation im Nahen Osten mit Benjamin Netanyahu sprechen. Auf die Frage, ob ein umfassender Krieg in der Region vermieden werden könne, antwortete er: «Das muss er. Er muss wirklich vermieden werden.»
Hat jetzt der Flächenbrand begonnen?
Islamwissenschaftler Reinhard Schulze verneinte am Montag. «Noch handelt es sich nicht um einen Flächenbrand.» Die wachsende Zahl von Brandherden drohe jedoch, zusammenzuwachsen. «Bislang aber gibt es noch keine koordinierte Reaktion auf die israelischen Angriffe in Gaza, Libanon und im Jemen.»
Kommt jetzt die Bodenoffensive im Libanon?
Ja, inzwischen hat sie begonnen. Israels erklärtes Kriegsziel ist es, die Rückkehr von 60'000 Israelis zu ermöglichen, die durch die Hisbollah-Angriffe aus Gebieten entlang der Grenze mit dem Libanon vertrieben wurden. Ob dies mit Luftschlägen allein zu erreichen sei, wird angezweifelt.
Sicherheitsexperte Peter Neumann hatte am Sonntag gegenüber Blick gesagt, dass der Zeitpunkt für einen Bodenangriff aktuell günstig sei. «Die Hisbollah ist so schwach, dass sie den Israelis kaum etwas entgegenzusetzen hätte.»
Reinhard Schulze sagt, dass der Norden Israels erst dann sicher sei, wenn Hisbollah keine offensiven Aktionen mehr durchführen könne oder wolle. «Eine Bodenoffensive kann diesen Zustand nur erreichen, wenn Israel entweder dauerhaft den Süden besetzt hält oder wenn es der libanesischen Armee gelingt, sich als Hoheitsträger im Süden durchzusetzen.» Er betont: «Eine Bodenoffensive dürfte in jedem Fall verlustreich sein.»
Muss sich Israel vor Ägypten, Jordanien oder Saudi-Arabien fürchten?
Im Unabhängigkeitskrieg (1947–1949) und im Sechstagekrieg (1967) standen auch Ägypten und Jordanien gegen Israel. Besteht aktuell ein Risiko, dass andere arabische Staaten, in denen es keine Partner der iranischen «Achse des Widerstands» gibt, gegen Israel kriegerisch aktiv werden? «Derzeit ist dies sehr unwahrscheinlich», sagt Reinhard Schulze. «Sie werden versuchen, neutral zu bleiben.» Das könnte sich dann ändern, wenn ein Kriegsgeschehen die ökonomischen und politischen Grundinteressen dieser Länder, etwa Saudi-Arabiens, berührte. «Doch selbst dann ist nicht ausgemacht, auf welcher Seite sie intervenierten», so Schulze.
Wird der Iran bald aktiv eingreifen?
Auch damit rechnet Schulze vorerst nicht. «Iran wird nur eingreifen, wenn dies seinen längerfristigen Zielen entspricht», sagt er. Diese seien nicht deckungsgleich mit den Interessen der Hamas oder der Hisbollah. «Der iranische Nationalismus, der zugleich religiös gestaltet ist, entscheidet darüber, ob und, wenn ja, wann der Zeitpunkt für eine Intervention gekommen ist.»
Was hat Netanyahu sonst noch vor?
Am letzten Freitag sprach Netanyahu vor der Uno-Generalversammlung. «Wir gewinnen», sagte er zum Verlauf des Krieges im Gazastreifen. Er kündigte an, den Krieg gegen die Hamas und die Hisbollah fortzusetzen, und warnte den Iran vor einem Angriff.
Reinhard Schulze blickt aktuell in den Irak und nach Syrien. Er erwartet, dass die israelischen Streitkräfte sehr genau beobachten, wie sich die Verbände des «Islamischen Widerstands im Irak» und andere irakische Milizen verhalten. «Diese behaupten, in den vergangenen Tagen Raketenangriffe auf Israel lanciert zu haben», sagt er. Darüber hinaus könnten diese Verbände auch vermehrt US-amerikanische Einrichtungen im Irak und in Ostsyrien angreifen. «Israel würde im Fall einer Eskalation sicher nicht zögern, Hisbollah-Einheiten und gegebenenfalls militärische Einrichten der regimetreuen Truppen in Syrien anzugreifen», erwartet Schulze.