Schläge, Elektroschocks, kaltes Wasser ins Gesicht. Fast einen Monat lang befindet sich der aserbaidschanische Student Hussein Abdullajew (20) in russischer Gefangenschaft – und erlebt grauenhafte Momente.
Der junge Mann studierte an der Universität von Mariupol. Als der Krieg ausbrach, half er bei der Errichtung von Luftschutzbunkern. Am Krieg selbst habe er sich nie beteiligt, sagt er im Interview mit der aserbaidschanischen Zeitung «Media.az».
Mitte März habe er sich gemeinsam mit Einheimischen entschieden, die Stadt zu verlassen. Nach mehreren Checkpoints seien sie von russischen Soldaten aufgehalten worden. «Sie haben unsere Dokumente geprüft und uns gesagt, dass wir uns bis auf unsere Unterwäsche ausziehen müssen». Die Soldaten hätten so die Tattoos der Flüchtenden überprüfen wollen.
Zum Verhängnis wird der Gruppe ein Krebs-Tattoo am Arm des Fahrers, es hätte den Soldaten einfach nicht gepasst, sagt er. «Sie haben begonnen, mit ihren Gewehrkolben auf uns einzuschlagen. Einige Zeit später fuhr ein Lastwagen mit Soldaten vor. Alle trugen schwarze Masken. Sie drehten uns die Hände auf den Rücken, legten uns Handschellen an und stiessen uns ins Auto», erinnert sich Abdullajew.
Folter in einem kleinen Raum
Niemand aus der Gruppe habe gewusst, wohin sie gebracht werden. Erst bei der Ankunft sei ihnen klar geworden, dass sie sich in einem Gefängnis befinden. Abdullajew sagt, er habe sofort gesagt, dass er aus Aserbaidschan sei. «Doch die Soldaten hat das nicht interessiert. Ich wurde trotzdem gefangen genommen.»
25 Tage lang habe er in dem Gefängnis verbracht. Am Anfang sei der Kommandant auf ihn zugekommen. «Er hatte die tschetschenische Flagge auf seiner Uniform und sprach nur gebrochen russisch. Der Kommandant behauptete, ich sei ein Soldat – ohne dafür Beweise zu haben. Ich wurde sofort in eine Zelle gebracht.»
Eine Stunde später seien die Soldaten zurückgekommen und hätten ihn in einen kleinen Raum gebracht. «Dort gab es nur einen eisernen Stuhl und einen komischen Apparat.» Die Soldaten hätten ihn auf den Stuhl gesetzt und ihn gefesselt. Anschliessend hätten sie ihm Fragen gestellt. «Sie haben versucht, ein Geständnis zu erzwingen, dass ich Soldat sei. Sie haben sogar einen Aserbaidschaner angerufen, der ihnen bestätigt hat, dass ich nur Student sei. Doch sie haben mir nicht geglaubt.»
«Gefangene wurden erschossen»
Daraufhin sei er gefoltert worden, berichtet Abdullajew. «Sie befestigten einen Apparat an meinen Zehen und jagten mir Elektroschocks durch den Körper. Sie wollten unbedingt hören, dass ich vom ukrainischen Militär bin. Aber ich bin nur ein Student.»
Die Gräueltaten gingen pausenlos weiter. Dreimal am Tag sei er in den Raum gebracht worden, berichtet Abdullajew. «In der Regel wurden 10 bis 15 Personen gleichzeitig verprügelt oder mit Elektroschocks gefoltert.» Die Folter mit Elektroschocks habe 20 bis 30 Minuten gedauert, die Schläge rund eine Stunde. «Es kam vor, dass ich in Ohnmacht fiel. Die Soldaten gossen kaltes Wasser über mein Gesicht, sodass ich wieder zu Bewusstsein kam. Danach ging es einfach weiter.»
Auch in anderen Räumen seien Gefangene gefoltert worden. Die Schmerzensschreie seien «unerträglich» gewesen, erinnert sich der Student. «Manchmal hörte ich Menschen schreien, dann fiel ein Schuss. Sie haben die Menschen einfach erschossen. Dann war es einige Sekunden lang ganz ruhig.»
Jetzt ist er im Spital
25 Tage nach seiner Inhaftierung sei schliesslich ein Wachmann gekommen und habe ihn zum Kommandanten gebracht. Dieser habe ihm mitgeteilt, dass er freigelassen werde. «Er gab mir seine Handynummer und sagte, ich solle ihn anrufen, wenn es Probleme gebe.» Daraufhin hätten ihn die Soldaten zum Kontrollpunkt zurückgefahren und in ein Auto mit einer ukrainischen Familie gesetzt.
Kurze Zeit später sei er erneut festgesetzt worden. «Nachdem ich den Soldaten die Nummer des Kommandanten gegeben habe, liessen sie mich allerdings direkt wieder frei», so Abdullajew.
Mittlerweile liegt der Student in einem Spital in der ukrainischen Stadt Saporischschja, erholt sich dort von den Torturen. Der nächste Schritt sei bereits klar, sagt Abdullajew. «Ich werde nach Aserbaidschan zurückkehren und dort abwarten. Ich hoffe, dass die Ukraine den Krieg gewinnt. Dann kann ich nach Mariupol zurück und dort mein Studium fortsetzen.» (zis)