Zehntausende Soldaten hat Russland in seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine bereits verloren. Trotzdem hat Kreml-Chef Wladimir Putin (70) nicht genug. Kurz vor dem ersten Jahrestag des Ukraine-Kriegs hat der Kreml eine neue Militäroffensive gestartet.
Laut einem Bericht der US-Denkfabrik Institute for the Study of War (ISW) hat Russland zahlreiche Kräfte in der Region rund um Luhansk gesammelt und geht nun voll in die Offensive. Russische Bodentruppen würden ukrainische Stellungen attackieren und verzeichneten «minimale Fortschritte» entlang der Grenze zwischen Charkiw und Luhansk. Das Ziel: Die Frontlinie zwischen den beiden Kleinstädten Swatowe und Kreminna zu durchbrechen.
Nordwestlich von Swatowe habe Russland tatsächlich kleinere Gebietsgewinne verzeichnen können. Das zeigen Satellitenaufnahmen, die dem ISW vorliegen. Die ukrainischen Soldaten würden aber grössere Gebietsgewinne verhindern.
Auch Experten rechneten mit Offensive
Allerdings habe die russische Offensive wohl noch nicht das volle Tempo aufgenommen, so das ISW weiter. Erst im Januar verlegte Russland mehrere Militäreinheiten von Belarus an die Front. Diese seien aber noch nicht eingesetzt worden.
Überraschend ist die Offensive nicht. Experten gingen bereits in den vergangenen Wochen davon aus, dass Russland bald zum Angriff bläst. ETH-Militärexperte Mauro Mantovani etwa sagte vergangene Woche, dass Putin zum Jahrestag der Invasion innenpolitische Erfolge vorweisen müsse. «Das erhöht die Wahrscheinlichkeit einer russischen Offensive vor dem 24. Februar», so Mantovani. Auch das ISW schreibt: «Die russischen Streitkräfte gehen allmählich in die Offensive.»
Ob die russische Armee aber mit dieser Strategie auch Erfolg hat, ist völlig offen. «Ein Erfolg ist weder zwingend noch absehbar», schreiben die Experten des ISW. Zwar habe Russland die Initiative übernommen. Allerdings berge die Strategie, viele Kräfte auf die Region rund um Swatowe zu konzentrieren, auch Gefahren. «Der volle Einsatz aller Kräfte könnte dazu führen, dass Russland das Ziel verfehlt, die Regionen Donezk und Luhansk vollständig einzunehmen», so die Experten.
Geht sein Plan nach hinten los?
Klar ist: Russland hat Schwierigkeiten, neue Soldaten zu finden. Zuletzt integrierte die russische Armee sogar Freiwillige aus den besetzten Regionen Donezk und Luhansk in die Reihen der Kämpfer. Die berüchtigte Wagner-Gruppe rekrutierte sogar Gefangene als Soldaten. Das hat Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin (61) nun gestoppt.
Ob die russische Offensive Putin den nötigen Erfolg einbringt, ist mehr als unklar. Der russische Präsident spiele mit dem Feuer, bemerkt das ISW. Sollten sich die russischen Kräfte zu sehr auf eine Region konzentrieren, würde sich laut Experten «den ukrainischen Streitkräften wahrscheinlich ein Zeitfenster bieten, das sie mit ihrer eigenen Gegenoffensive nutzen könnten». Würde diese gelingen, würde Putins Plan völlig nach hinten losgehen.