In der Nacht auf Sonntag verbreiten sich iranische Videos im Internet wie ein Lauffeuer. Sie zeigen Explosionen und Grossbrände. Es sind keine Kriegsszenen aus der Ukraine, sondern Bilder aus dem Iran. So reissen mehrere Detonationen kurz vor Mitternacht die Millionenstadt Isfahan aus dem Schlaf, eine Feuersbrunst erhellt den nächtlichen Himmel.
Drei Drohnen hätten die Militäranlage nahe der iranischen Metropole beschossen, bestätigt das iranische Verteidigungsministerium. Eines der Fluggeräte sei von der Luftabwehr abgefangen worden, zwei weitere aber hätten zwar eingeschlagen, es sei aber nur ein Dach beschädigt und niemand verletzt worden. Auch im Nordwesten des Landes, unweit der Provinzhauptstadt Täbris, geht eine Ölfabrik in Flammen auf. Ein Feuerwehrmann wird schwer verletzt, ein Löschfahrzeug brennt nieder. Noch ist die Brandursache nicht geklärt.
Die Drohnen in Isfahan hatten offenbar eine Munitionsfabrik angegriffen. Möglicherweise galt der Anschlag einer der nuklearen Forschungsanlagen im benachbarten Natanz, wo Uran bereits auf 60 Prozent angereichert wurde. Auch wenn sich niemand zum Anschlag bekennt, so wird stark vermutet, dass die Drohnen aus Israel kommen.
Ist der Iran bald selbst eine Atommacht?
Zum Bau von Atombomben braucht es eine Uran-Anreicherung von 80 Prozent. Viel also fehlt dem Iran nicht mehr zur Nuklearmacht. Seit Ex-US-Präsident Donald Trump (76) 2018 das Atomabkommen aufkündigte, wird der Atomenergiebehörde IAEA der Zutritt zu iranischen Atomanlagen verwehrt. Unlängst schaltete das Mullah-Regime zudem die Überwachungskameras vor ihren nuklearen Forschungszentren ab. Die Wiederaufnahme der Verhandlungen liegt auf Eis. Wegen der anhaltenden Menschenrechtsverletzungen gegen das eigene Volk wurden die Wirtschaftssanktionen nicht, wie im Abkommen versprochen, abgebaut, sondern verschärft. In der Zwischenzeit rüstet der Iran rasant auf. Er habe, so schätzt die IAEA 18-mal mehr Uran angereichert, als nach Abkommen erlaubt wäre.
In Israel läuten die Alarmglocken. Es sieht seine Existenz bedroht. Der Iran macht keinen Hehl daraus, dass er den jüdischen Staat auslöschen wolle. Seit vielen Jahren führen die beiden Länder einen Schattenkrieg. Der Iran unterstützt finanziell und mit Waffen Israels direkte Erzfeinde wie die radikalislamische Palästinenserorganisation Hamas und die libanesische Hisbollah. Israel antwortet mit verdeckten Anschlägen wie der Bombardierung von militärischen Basen irantreuer Truppen in Syrien und im Irak, der Tötung von Kernphysikern sowie Cyberattacken auf iranische Behörden, Infrastruktur und Atomanlagen. Geäussert hat sich Israel dazu nie.
Nicht die Arme des Kraken treffen, sondern den Kopf
Der Konflikt droht zu eskalieren. Die neue ultrarechte Regierungskoalition rasselt laut mit den Säbeln. In einer Rede kündigte Benjamin Netanyahu (73) hartnäckigen Widerstand gegen die Wiederaufnahme des Atomabkommens mit dem Westen an. Denn, so der sechsfache israelische Premierminister, der Atomdeal würde die Lockerung der Sanktionen bedeuten und damit das iranische Regime stärken. Schon Ex-Verteidigungsminister Benny Gantz (63) erwog im Sommer 2022 Luftangriffe auf iranische Nuklearanlagen, die man in zwei, drei Jahren vornehmen würde. Benjamin Netanyahus rechtskonservativer Vorgänger Naftali Bennett (51) sprach von der «Octopus Doctrine». Israel würde fortan nicht mehr nur die Arme des Kraken treffen, gemeint sind jene feindlichen Gruppen, die der Iran im benachbarten Ausland unterstützt, sondern den Kopf, also den Staat Iran selbst.
Ein offener Konflikt im Nahen Osten würde eine weitere Front eröffnen, deren Ausmasse nicht abzuschätzen wären. Denn auch Israel, wie zuvor die Ukraine, zählt auf die militärische Hilfe der USA. Iran hingegen hat gute militärische Beziehungen zum Kreml, der bereits seinerseits mächtige «Krakenarme» in Syrien und Libyen hat.