Die neue israelische Regierung um Premierminister Benjamin Netanjahu (73) ist erst seit zwei Wochen im Amt und schon fliegen die Fetzen.
Am Samstag gingen in Tel Aviv mehr als 80'000 Demonstranten auf die Strasse und äusserten ihren Unmut über die Pläne von Justizminister Jariv Levin (53), das Justizwesen zu reformieren.
Weitreichende Änderungen im Justizsystem
Die Kundgebung in Tel Aviv begann in strömendem Regen im Stadtzentrum auf dem Platz vor dem Nationaltheater Habima. Anschliessend zogen die Demonstranten durch die Strassen und schwenkten blau-weisse israelische Flaggen. «Demokratie», skandierten sie dabei immer wieder. «Der Staat ist nicht euer Spielzeug», stand auf einem Plakat.
Es war die bisher grösste Demonstration gegen die neue Regierung, die Ende Dezember vereidigt worden war. Auch in Haifa und Jerusalem fanden Proteste statt.
Die Reform sieht weitreichende Änderungen im israelischen Justizsystem vor. Sollte das Gesetz in Kraft treten, könnte künftig eine einfache Mehrheit von 61 Abgeordneten im Parlament ein Gesetz verabschieden, selbst wenn es nach Ansichten des Höchsten Gerichts gegen das israelische Grundgesetz verstösst und deshalb von diesem für ungültig erklärt werden könnte.
«Tödlicher Schlag» gegen Unabhängigkeit der Richter
Israel hat, im Gegensatz zu vielen anderen Demokratien, keine Verfassung. Diese Funktion erfüllt das Grundgesetz. Den obersten Richterinnen und Richter obliegt es, die Vereinbarkeit der Gesetze mit den Prinzipien des Grundgesetzes zu prüfen. Justizminister Levin plant nun, die Zusammensetzung des Gremiums zur Ernennung von Richtern zu ändern. Das, weil sich laut Levin das Höchste Gericht übermässig in politische Entscheidungen einmischen würde.
Die Vorsitzende des Höchsten Gerichts in Israel, Esther Chajut (69), hatte bereits am Donnerstag in einer ungewöhnlich scharf formulierten Ansprache vor einem «tödlichen Schlag» gegen die Unabhängigkeit der Richter gewarnt. Nach den geplanten Reformen wäre die demokratische Identität des Landes vollkommen entstellt, sagte sie. Justizminister Levin warf Chajut daraufhin vor, sie stehe auf der Seite der Opposition.
Staatspräsident Izchak Herzog (62) äusserte sich am Sonntag besorgt über das «tiefgreifende Zerwürfnis, das unser Land auseinanderreisst». Er betone, die Fundamente der israelischen Demokratie, einschliesslich des Justizsystems, seien heilig und müssten streng bewacht werden. Er bemühe sich um einen konstruktiven Dialog beider Seiten, sagte Herzog nach Angaben seines Büros.
Am weitesten rechts stehende Regierung
Israels rechtsextremer Polizeiminister, Itamar Ben-Gvir (46), hatte zu Wochenbeginn ein hartes Vorgehen gegen Demonstrantinnen und Demonstranten angekündigt. Die Proteste verliefen jedoch weitgehend friedlich. Die Polizei hinderte lediglich mehrere hundert Demonstranten daran, eine Schnellstrasse in Tel Aviv zu blockieren.
Die Regierung des wiedergewählten Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu ist laut Experten die am weitesten rechts stehende Regierung, die Israel je hatte. (ced/SDA)