Blutige Weihnachten
Löst Netanjahus Minister neuen Krieg im Nahen Osten aus?

Am Mittwoch will Israels designierter Premierminister Benjamin Netanjahu (73) sein Regierungsteam vorstellen. Insbesondere ein Mann sorgt im Heiligen Land für hitzige Köpfe. Der alte Nachbarkonflikt droht endgültig zu eskalieren.
Publiziert: 20.12.2022 um 12:28 Uhr
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Aktualisiert: 21.12.2022 um 19:47 Uhr
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Benjamin Netanyahu, hier mit First Lady Sara, will morgen Mittwoch seine neue Regierung vorstellen. Die während 15 der vergangenen 26 Jahre hat er das Land regiert.
Foto: keystone-sda.ch
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Samuel SchumacherAusland-Reporter

Nicht jedes Geschenk erfreut die Gemüter, nicht jedes Präsent kommt gut an. Benjamin Netanjahus (73) Weihnachtsbescherung könnte im Heiligen Land jetzt aber sogar für einen neuen Ausbruch des Israel-Palästina-Konfliktes sorgen: Pünktlich zur Weihnachtszeit präsentiert der erneut ins Amt gewählte israelische Premierminister wohl schon morgen Mittwoch seine Regierung. Mit dabei: der designierte Minister für Innere Sicherheit, Itamar Ben Gvir (46).

Eine radikalere Figur für den Posten hätte sich Netanjahu nicht aussuchen können: Ben Gvir, Vorsitzender der rechtsradikalen Otzma-Yehudit-Partei, will das palästinensische Westjordanland räumen und die rund drei Millionen Palästinenser in faktische Ghettos sperren lassen, denkt laut über die Wiedereinführung der Todesstrafe in Israel nach und tritt für Straffreiheit für gewalttätige Polizisten ein.

Ben Gvir, der selbst in einer der völkerrechtlich illegalen israelischen Siedlungen auf dem palästinensischen Gebiet lebt, wurde 2007 bereits einmal wegen Unterstützung einer jüdischen Terrororganisation verurteilt. Bis vor kurzem hatte der Vater von fünf Kindern in seinem Haus ein Foto des israelischen Massenmörders Baruch Goldstein aufgehängt, der 1994 in einer Moschee in der palästinensischen Stadt Hebron 29 Menschen massakriert und 135 teils schwer verletzt hatte.

Frauenfeindlicher Finanzminister im emanzipierten Israel

Die Ernennung von Ben Gvir zum Chef der israelischen Polizei und der Grenzbehörden zu den Palästinensergebieten sei so, «als würde man einen Pyromanen zum Feuerwehrhauptmann machen», sagt Peter Lintl (41), Israel-Experte bei der Berliner Stiftung für Wissenschaft und Politik.

Netanjahu hatte bei der Besetzung des wichtigen Ministerpostens jedoch gar keine andere Wahl. «Bibi», wie die Israelis ihren Rekord-Regierungschef nennen, brauchte nach dem fünften nationalen Urnengang in Israel binnen nicht einmal vier Jahren die Stimmen von zwei ultra-orthodoxen und drei rechtsradikalen Splitterparteien, um auf eine Mehrheit im israelischen Parlament zu kommen und eine Regierung bilden zu können. Ebendiese Splitterparteien haben Netanjahu bei den wochenlangen Koalitionsverhandlungen zuletzt mit ihren Forderungen torpediert – mit Erfolg.

Neben Itamar Ben Gvir haben es auch mehrere andere illustre Figuren in Netanjahus neues Regierungsteam geschafft. So soll der rechtsradikale Bezalel Smotrich (42), der Frauen als Gebärmaschinen und Ungläubige als Staatsfeinde erachtet, Finanzminister werden. Das Innenministerium geht wohl an Arje Deri, den wegen Steuervergehen verurteilten Chef der radikal-religiösen Schas-Partei. Seine Partei hat offenbar auch durchgesetzt, dass ultraorthodoxe Juden vom Militärdienst befreit werden.

Netanjahu will Richter und Henker sein

Besonders besorgniserregend in den Augen von Israel-Experte Peter Lintl ist der Angriff, den Netanjahu und seine Regierungskollegen auf die Justiz planen. So sollen die Entscheide des obersten Gerichts mit einer einfachen Parlamentsmehrheit überstimmt und gewisse Straftatbestände – etwa jener der Veruntreuung, für den Netanjahu selber angeklagt ist – aus den Gesetzbüchern gestrichen werden. «Politische Mehrheiten werden in Israel kaum mehr vom Obersten Gerichtshof in die Schranke gewiesen werden können», sagt Israeli-Experte Lintl.

Aus den USA, dem engsten und mächtigsten Verbündeten Israels, kommen bereits mahnende Worte. US-Präsident Joe Bidens (80) Team liess verlauten, man könne sich eine Zusammenarbeit mit den radikalen Exponenten der neuen Regierung nur schwerlich vorstellen. Und die Meinungsredaktion der «New York Times» bezeichnete die jüngsten Entwicklungen als «Gefahr für die Zukunft Israels». Auch der amtierende israelische Ministerpräsident Yair Lapid (59) meldete sich zu Wort und deklarierte die politischen Vorhaben Netanjahus als «Affront gegen die Werte des Staates».

Besonders heftig fallen die Reaktionen auf der palästinensischen Seite aus. Der Frust unter den knapp drei Millionen Palästinensern im seit 1967 von Israel besetzten Westjordanland ist riesig. Zur aggressiven Rhetorik aus Israel kommt der Umstand hinzu, dass sich der greise Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas (87) seit 2009 ohne demokratische Legitimation an der Macht hält.

2022 war das blutigste Jahr seit langem

Im Westjordanland haben sich in diesem Jahr mehrere neue radikale Gruppierungen gebildet, allen voran die «Brigade der Höhle des Löwen», die Anschläge auf die israelischen Besatzer planen. Mindestens 31 Israelis wurden 2022 bei palästinensischen Angriffen getötet. Die militärische Antwort Israels kostete mindestens 135 Palästinensern das Leben. 2022 war das blutigste Jahr im Nahen Osten seit langem.

Trotzdem: Laut einer Umfrage des Palästinensischen Zentrums für Politik- und Umfrageforschung befürworten fast drei Viertel der Palästinenser die Aktionen solcher Gruppierungen, trotz der tödlichen Gegenreaktion: Seit Monaten kommt es vor allem in den beiden palästinensischen Grossstädten Jenin und Nablus fast täglich zu israelischen Vergeltungsschlägen.

Bei einem Angriff auf Nablus kam dabei im Oktober fast die ganze Führungsriege der «Löwen-Brigaden» ums Leben. Heute noch spielen Kinder mit umgehängten Amuletten der Märtyrer auf den engen Plätzen der Metropole. Die Steinmauern in der Altstadt sind voll mit Fotoplakaten der getöteten Brigadisten. Im Heiligen Land flackert zur Weihnachtszeit statt friedlicher Stimmung der alte Hass wieder auf.

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