Sophie Lavaud (52) ist die bekannteste Bergsteigerin der Schweiz. «The 88’000 Lady», wie sie in Fachkreisen genannt wird, hat als erste Schweizerin elf Achttausender im Himalaya-Gebirge bestiegen. Jetzt hätte der Zwölfte folgen sollen. Mit einer nur aus Frauen bestehenden Expedition, dem «Women Who Dare Project», war sie unterwegs auf den Dhaulagiri (8167 Meter), den siebthöchsten Berg der Welt. Doch das Vorhaben wurde abgebrochen: Vor Corona musste sie kapitulieren.
Seit Wochen befand sich ihre Expedition in Nepal, um den Berg zu erklimmen, an dem sie bereits zweimal gescheitert war. Die Vorbereitung lief wie geplant, man stieg vom Basislager in ein anderes Camp hinauf, hinunter, wieder hinauf, zurück. Ein Standard bei solchen Missionen, um sich an die dünne Luft in der Höhe zu gewöhnen.
«Keiner wurde getestet»
Bei einer Rückkehr ins Basislager erfuhr die Gruppe, dass andere Personen das Coronavirus mit auf den Berg gebracht hatten. «Bereits zehn Evakuierungen, praktisch jede Stunde gibt es einen neuen Fall», schreibt Lavaud über die Zeit im Basislager auf Facebook. «Unsere Freunde vom Annapurna (eine andere Expedition, Anm. der Red) haben sechs Tage in Pokhara verbracht, bevor sie ins Basislager kamen. Aber keiner wurde getestet, bevor sie die Helikopter bestiegen. Welch fatales Versäumnis!», schreibt sie.
Da habe sie sich an lange Nächte kurz zuvor erinnert, die sie mit zwei Sherpas weiter oben im Zelt verbrachte, einen Sturm ausharrend. Der Platz ist begrenzt, die Gesichter nicht weit voneinander entfernt. Die Sherpas husteten schon da.
Nach dem Abstieg und dem Ausbruch im Lager liess sich Lavaud testen und erfuhr, dass sie und ihre beiden Begleiter corona-positiv sind. «Welche Enttäuschung, welche Desillusionierung», schreibt die Bergsteigerin auf Facebook. Wieder war der Aufstieg gescheitert.
Nepal versinkt im Corona-Chaos
Ebenfalls auf der Expedition dabei war die Schweizer Bergfotografin Caroline Fink (43). Die erfahrene Alpinistin hatte den Auftrag zu filmen, «so weit es ging», wie sie Blick sagt. Die Gruppe sei optimistisch gewesen, was den Gipfelerfolg anging, bis es zum Corona-Ausbruch kam. «Dabei hatte uns dieser nach den Entwicklungen der letzten Tage nicht einmal so sehr überrascht», sagt Fink.
In Nepal wütet das Virus seit Anfang Mai besonders stark. Derzeit werden täglich rund 9000 Fälle vermeldet, vor einem Monat waren es noch 500. Die indische Mutation hat ihren Weg vom Nachbarland über die Grenze ins Himalajagebiet gefunden und ist für einen Grossteil der Fälle verantwortlich. Mit dem Resultat, dass die Krankenhäuser überlastet sind und das Land ins Chaos zu stürzen droht. Das nepalesische Gesundheitssystem ist kaum ausgebaut, geimpft ist fast niemand.
Diverse Vorsichtsmassnahmen ignoriert
Als Fink in Nepal ankam, war das anders. «Am 28. März 2021 erreichten wir Kathmandu, ein paar Tage später liefen wir in einer Woche zum Basislager des Dhaulagiri auf 4700 Meter Höhe.» Man bereitete sich vor und akklimatisierte sich. «Da hörten wir von einzelnen Fällen am Annapurna, auch am Mount Everest, aber das betraf uns ja nicht direkt.»
Bis einige Bergsteiger, die zuvor am Annapurna waren, auch in ihr Lager kamen. «Eigentlich gibt es eine Corona-Testpflicht für Bergsteiger, bevor sie wieder in die Höhe gehen», sagt Fink. «Es wäre schön gewesen, wäre die eingehalten worden.» Doch ob damit ein Ausbruch zu verhindern gewesen wäre, ist fraglich. «Im Lager fehlten auch andere Vorsichtsmassnahmen. Alle assen zusammen, besonders die Sherpas sassen gedrängt in einem grossen Zelt beieinander. Zudem fehlte es an ausreichend Test-Kits und Masken für die Sherpas.»
Rund 50 Prozent der Expedition betroffen
Das «Women Who Dare Project» war in einer Zwickmühle. Hinunter wollte man nicht, weil man nicht wusste, ob man infiziert war. Hinauf wollte man nicht, weil man nicht wusste, ob man infiziert war. Nach einigen Tagen erwischte es Lavaud, Fink und «rund 50 Prozent unserer Expedition». Das Virus grassierte «wie ein Lauffeuer», beschreibt es die Fotografin. «Ich hatte Schüttelfrost und Fieber, ab da war klar, dass es nur noch darum geht, wann wir wieder in Kathmandu sind.»
Nach einigen Tagen ausharren auf dem Berg – die Helikopter wurden vom weit entfernten Everest abgezogen und flogen Sonderschichten, um derart viele Personen zu holen, kam Fink sicher in der nepalesischen Hauptstadt an. Zuerst in einer Klinik, wo sie beobachtet wurde, mittlerweile ist sie in einem Hotel. «Es geht mir gut», sagt sie am Telefon. Die 43-Jährige ist froh, ist niemandem etwas passiert. Nun würde sie gerne in die Schweiz zurück. Doch das ist schwierig. Flüge nach Nepal sind eingestellt, das Land wird vom Virus verschluckt. Wann die Situation besser wird, weiss vor Ort niemand.