Dieser US-Amerikaner will gegen die Russen kämpfen
1:45
«Jetzt gehts nach Odessa»:Dieser US-Amerikaner will gegen die Russen kämpfen

Söldner am Grenzbahnhof zur Ukraine
«Habe ein Einweg-Ticket ins Kriegsgebiet gebucht»

Seit über drei Monaten herrscht Krieg in der Ukraine. Im polnischen Przemysl, nahe der Grenze, herrscht noch immer Ausnahmezustand. Täglich begegnen sich hier Flüchtlinge, Freiwillige und Söldner aus aller Welt. Ein Augenschein.
Publiziert: 05.06.2022 um 01:03 Uhr
|
Aktualisiert: 09.06.2022 um 15:05 Uhr
1/12
Am Grenzbahnhof im südostpolnischen Przemyśl, nur wenige Kilometer von der Ukraine entfernt, herrscht auch nach drei Monaten Krieg noch immer der Ausnahmezustand. Täglich begegnen sich hier Flüchtlinge aus der Ukraine, Freiwillige, aber auch Heimkehrer sowie ausländische Söldner.
Foto: Valentin Rubin
Valentin Rubin aus Przemyśl

Die Mutter blickt ins Leere. Sie wolle nach Hause, sagt sie erschöpft. Sie sitzt mit ihren Kindern auf gepackten Koffern am Bahnhof Przemysl, wenige Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Sie wartet auf den Zug zurück in die Ukraine. Was sie seit Kriegsausbruch erlebt hat, will sie nicht erzählen. Sie wendet sich ab.

In Polen wurden über Monate Millionen Geflüchtete mit offenen Armen empfangen. Zwar sind es heute nicht mehr so viele wie Anfang März, aber die Solidarität ist noch immer riesig. Und doch: Viele wollen zurück. Die Gefahr scheint vielerorts gebannt – momentan. Die Russen sind geschwächt.

Krieg hat Menschen abgehärtet

In Lwiw, im Westen, gibt es zwar noch immer Bombenalarme. «Doch wir wollen nicht in Angst leben», sagt Roksolana, die bis vor dem Krieg in Kiew arbeitete und danach in Lwiw bei Verwandten Zuflucht fand. Sie ist an diesem Morgen im Mai nach Przemysl gekommen. Nicht, um aus der Ukraine zu fliehen, sondern um ihre Verwandten in Polen zu besuchen. «Nach drei Monaten Ungewissheit.»

Nächste Woche gehe sie zurück. Roksolana wirkt erstaunlich sorglos. Aber als sie auf dem Smartphone Bilder der Zerstörung in der Ukraine zeigt, zittern ihre Hände. Der Krieg ist noch nicht vorbei. Aber er hat abgehärtet. Man lernt, mit der Gefahr zu leben. Die Hoffnung auf ein baldiges Kriegsende ist für viele Grund genug zurückzukehren.

Es hat sich für viele eine seltsame Normalität eingependelt. Züge und Busse verkehren wieder regelmässig über die Grenze. Sie sind meist gut belegt, in beide Richtungen. «Jemand muss ja im Land bleiben, um die Wirtschaft am Leben zu erhalten», sagen zwei Frauen im Vorbeigehen, auf dem Weg nach Lwiw.

Freiwillige aus aller Welt

Doch der ersehnten Normalität zum Trotz: Noch immer herrscht Ausnahmezustand. Noch immer kommen gezeichnete Mütter mit Kindern am Bahnhof Przemysl an. Noch immer warten Menschen auf sie, die sie weiter nach Westeuropa bringen.

Zudem sind seit Monaten Freiwillige im Einsatz. Teils kommen sie von weit her, wie etwa Cecilia aus Südkorea. Mitte Mai sei sie nach Polen gekommen. «Ich will den Familien helfen.» Sie ist sehr motiviert: «Es ist wundervoll, wie Freiwillige aus Polen und aus aller Welt zusammenarbeiten.»

Sie spricht weder Polnisch noch Ukrainisch, mit Google Translate funktioniere die Kommunikation dennoch passabel, sagt sie lachend. Sie betont aber, dass die Arbeit emotional sei, und blickt in Richtung einer alten Frau, die mit Krücken auf einer Bank sitzt. Sie habe es nur mit Mühe aus der Ukraine geschafft. Dennoch meint Cecilia: «Vielleicht kann ich den Flüchtlingen ein Lächeln ins Gesicht zaubern.» Normalität erzwingen, damit die Situation erträglicher wird.

Flüchtlinge haben es auch in Polen nicht leicht

Es gibt auch Ukrainerinnen, die in Przemysl helfen. Wie Ludmila, die im März aus Mykolajiw geflohen ist. In Katowice in Südwestpolen, wo die Familie kostenlos untergekommen ist, hat die Biologin aber keine Arbeit gefunden. Nicht einmal beim Aufnahmepunkt am dortigen Bahnhof. Daher ist sie jetzt jeweils für fünf Tage in Przemysl, 300 Kilometer östlich, und arbeitet für die NGO World Central Kitchen. «Ich habe heute meinen ersten Arbeitstag, und ich bin sehr glücklich darüber.» Sie erhalte sogar einen Lohn.

Doch ihre Eltern haben es in Polen nicht leicht. Ohne Englisch- oder Polnischkenntnisse ist es trotz überwältigender Willkommenskultur nicht einfach, hier Fuss zu fassen. Ludmila sagt zwar: «Ich überlege mir, langfristig in Polen zu bleiben.» In Gedanken ist sie aber ständig in der Ukraine.

«Gemeinsam um Leben und Tod kämpfen»

Die Situation erträglicher machen wollen auch ausländische Kämpfer. Zwei Georgier, Mitte vierzig, sind nach drei Monaten in der Ostukraine nun wieder in Polen. Sie wollen strikt anonym bleiben, aber sie berichten von ihrem Einsatz. Seit März haben sie Seite an Seite mit den Ukrainern gekämpft. «Wenn du gemeinsam mit anderen um Leben und Tod kämpfst, dann entsteht eine spezielle Verbindung mit deinen Kameraden», sagt der eine. «Sie werden zu deinen Brüdern.» Selbst wenn man sich kaum kenne.

Die beiden kämpfen nicht nur für die Ukraine, sondern auch für ihr eigenes Land. «Die Russen haben schon genug Schaden in Georgien angerichtet», sagen sie. 2008 schickte Putin Truppen in den Kaukasus. «Irgendwer muss diesen Aggressor stoppen.» Nun, nach drei Monaten, kehren die Männer nach Tiflis zurück. Aber: «Wenn nötig, kommen wir nochmals.»

Ebenfalls auf den Weg macht sich der Amerikaner Danny. Er ist in 40 Stunden von Texas nach Przemysl gereist und wartet nun auf den Nachtzug nach Odessa. «Dort werde ich mich der ukrainischen Armee anschliessen.» Dann geht es weiter Richtung Osten in den Donbass, wo noch immer Kämpfe stattfinden.

Situation lässt niemanden kalt

«Ich habe ein Einwegticket in ein Kriegsgebiet gebucht», sagt Danny, halb ironisch. «Wahrscheinlich nicht die beste Idee.» Aber er weiss, wie der Frontkampf aussieht. Bereits im Ersten Irakkrieg 1991 hat er für die US-Marines gedient – als «Machine-Gunner».

Ganz Amerikaner, fügt er hinzu: «Ich weiss, dass ich auf der richtigen Seite kämpfe. Ich gehe in die Ukraine, um zu beenden, was Putin gestartet hat.» Er mache das für die Kinder und Familien, für die Zukunft. Angst habe er keine. «Sonst wäre ich nicht gekommen.» Als er aber kurz vor Abfahrt mit seiner Mutter telefoniert, kommen ihm die Tränen. Er sagt: «Das Ganze kann dich nicht kaltlassen.»

Am Grenzbahnhof in Przemysl spielt sich die ganze Palette an Kriegsereignissen wie in einem Mikrokosmos ab. Cecilia aus Korea, Roksolana aus Lwiw, Ludmila aus Mykolajiw, die georgischen Söldner, der US-Soldat Danny sowie die Freiwilligen leisten alle ihren Beitrag, um bald in eine richtige, nicht vorgespielte Normalität zurückzukehren.


Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?