Um Putin, den Ukraine-Krieg und die Zukunft Russlands kursieren die wildesten Spekulationen. Präsident Wladimir Putin (69) könne von Kreml-Hardlinern getötet und sein Tod als Herzinfarkt erklärt werden, sagt etwa Robert Thornton, Dozent für Konflikt und Sicherheitsfragen am Londoner King's College. Dies, weil die Generäle die «Geduld mit Putin verlieren» und ihn «weg haben wollen», sagt der Militärexperte im Gespräch mit «The Sun».
Einer der Hauptstreitpunkte in Moskau scheint zu sein, dass sich Kiew nicht länger im Würgegriff der russischen Streitkräfte befindet, weil Putin schon kurz nach Kriegsbeginn von Kiew und auch Charkiw abliess. Die Offensiven wurden abgeblasen und Truppen in den Donbass zurückgezogen. Dass die russischen Generäle nicht zufrieden mit der eigenen Kriegsführung sind, das bestätigt ein im Land respektierter hoher Militärführer und altgedienter Kriegsveteran. General Georgi Schpak (78) kämpfte schon in Afghanistan und in Tschetschenien. Schpak war Oberbefehlshaber der russischen Luftlandetruppen.
Schpak gab der «Komsomolskaja Prawda», einer der grössten Zeitungen Russlands, ein überraschend freimütiges Interview. Darin äussert der reichdekorierte Kriegsveteran offene Bedenken an der Kriegsführung Putins – ohne diesen beim Namen zu nennen. Schpaks Kritik ist klar und direkt. Zwar sei auch er überrascht gewesen, dass russische Truppen in der Ukraine nicht mit Blumen begrüsst worden seien. Er habe «keine Gesänge und Fahnen erwartet», aber – und das war ein grosser Fehler – Moskau habe die «sehr starke antirussische Propaganda nicht berücksichtigt» und «nicht mit so starkem Widerstand gerechnet».
Hauptgegner: Nato
Besonders erstaunt zeigt sich Schpak darüber, dass russische Truppen erst nach Kiew und Charkiw eilten, und sich dann aber in den Donbass zurückzogen. «Auch für mich als Profi ist diese Strategie unverständlich. Vielleicht», mutmasst Schpak, «intervenierten hier gewisse Politiker, die einen ‹Verhandlungsprozess› wünschten.»
Dabei falle auch Russland der eigenen Kriegspropaganda zum Opfer, sagt der Altgeneral. Offiziellen russischen Militärberichten zufolge sei die gesamte ukrainische Luftwaffe bereits zweimal zerstört worden. Und sie fliegt noch immer. «Übertreibung gibt es auf beiden Seiten», räumt Schpak ein. «Das ist in jedem Krieg oder bei der Jagd an der Tagesordnung.»
Auf die Frage, wie Russland auf die Versorgung der ukrainischen Armee mit westlichen Waffen reagieren soll, hat Schpak eine klare Antwort. Erst gehören die Transportrouten und Entladeorte dieser Waffen festgestellt. Dann: militärische Schläge. «Es ist unbedingt notwendig, die Lieferungen von westlicher Militärausrüstung an die Ukraine zu stoppen.»
Nutzlose Generalmobilmachung, wenn ...
Russland habe bereits die Entsendung von 90 amerikanischen M777-Panzerhaubitzen in die Ukraine verschlafen. Hier gehöre «dringend herausgefunden», wie eine «so riesige Ladung an Ausrüstung in die Ukraine gelangen» konnte. «Sobald die Waffen die Grenze überqueren, sollten unsere Luft- und Raketentruppen sofort einschreiten.»
Ob eine Generalmobilisierung notwendig sei, um auch die erschöpften russischen Truppen zu entlasten, wird Schpak gefragt. Russland habe rund eine Million Soldaten, erklärt dieser. Etwa 100'000 seien an der Ukraine-Operation beteiligt. «Wir müssen das Schiesspulver in vielerlei Hinsicht trocken halten», erklärt Schpak.
Die Frage der Generalmobilmachung werde auf höchster Ebene im russischen Sicherheitsrat entschieden. Eine solche sei nicht notwendig, «wenn die Operation in der Ukraine korrekt durchgeführt wird. Wenn dort keine Züge mit Nato-Waffen geduldet werden, wenn alle Strassen gesperrt und alle Züge zerstört werden.» Dann sei eine Mobilmachung «wahrscheinlich nicht notwendig». Doch «wenn Flugzeuge, Panzer und Waffen kostenlos aus dem Westen in die Ukraine geliefert werden, hilft uns auch die Mobilisierung nicht.» (kes)