Mit ihrem Terrorangriff auf Israel am 7. Oktober sorgt die radikalislamische Hamas für eine massive Verschlechterung der Situation im Gazastreifen. War die humanitäre Lage in der rund 2,2 Millionen Enklave bereits vor der Attacke alles andere als optimal, so leben die Menschen nach den israelischen Gegenangriffen endgültig im Elend.
«Wir sind in die Steinzeit zurückgefallen», sagt der 23-jährige Namzi Mwafi zur «New York Times». Er, der nur einen Monat vor dem Krieg seinen Abschluss in Computertechnik gemacht hatte und von einem Leben in Kanada träumte, verbringt seine Tage jetzt damit, Wasser für die Familie aufzutreiben.
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Nur wenn er Glück hat, kehrt er am Abend mit etwas Wasser wieder zurück nach Hause. Seine Grossfamilie, die zusammengepfercht in einer Zweizimmerwohnung nahe der ägyptischen Grenze lebt, ist wegen der Knappheit gezwungen, das Wasser streng zu rationieren.
Familien verbrennen Türen, um zu kochen
Israel reagierte nach dem Hamas-Angriff und verhängte eine vollständige Blockade über Gaza. Zunächst wurden alle Hilfslieferungen blockiert, mittlerweile werden wieder einige Konvois durchgelassen. Für die dortige Bevölkerung eine Hiobsbotschaft, denn sie ist seither fast vollständig von Wasser, Lebensmitteln, Strom und Treibstoff abgeschnitten.
«Wenn ich früher Ambitionen und Hoffnungen für eine gute Zukunft und die Erfüllung meiner Träume als Kind hatte, so besteht mein grösster Ehrgeiz jetzt darin, zu essen, Wasser zu trinken und schlafen zu können», sagt Mwafi.
Hoffnung ist derzeit nur wenig in Sicht, denn die Situation in Gaza verschlimmert sich von Tag zu Tag und entwickelt sich immer mehr zur humanitären Katastrophe. Nahrungsmittel und Wasser sind zu Luxusgütern geworden. «Weizenmehl, Milchprodukte, Käse, Eier und Mineralwasser sind auf dem Markt völlig verschwunden», sagt eine Sprecherin des Uno-Welternährungsprogramms.
Laut der Organisation sind bisher nur zehn Prozent der in Gaza benötigten Lebensmittel in das Gebiet gelangt, was zu einer massiven Nahrungsmittellücke und weit verbreiteten Hunger geführt hat.
Hilfslieferungen reichen bei weitem nicht
Nach Angaben von in Gaza tätigen UN-Hilfswerken fehlt es auch an Gas sowie an Brennholz und Kohle. Das führt dazu, dass einige Familien in ihrer Not heruntergerissene Türen, Fensterläden und -rahmen, Papier und Gräser verbrennen, um sich eine warme Mahlzeit zuzubereiten. Andere wiederum verzichten ganz aufs Kochen und essen stattdessen rohe Zwiebeln oder Auberginen.
Immerhin: Durch den viertägigen Waffenstillstand, der im Rahmen eines Geiselabkommens am vergangenen Freitag eintrat, konnten Dutzende von Lastwagen mit Wasser und anderen lebenswichtigen humanitären Gütern ins Kriegsgebiet gelangen. Allerdings reichen die Hilfslieferungen nach Angaben der Hilfsorganisationen vor Ort bei weitem nicht aus, um die Bedürfnisse der Menschen zu decken.
«Alle Kinder hier sind krank»
Auch eine Gesundheitskrise bahnt sich an. Das kaum noch funktionierende Abwassersystem und die Unmengen an Vertriebenen, die auf engstem Raum in unhygienischen Flüchtlingsunterkünften hausen, bilden den Nährboden für Krankheiten. Bereits jetzt leiden vor allem Kinder an Durchfall, Krätze und Läusen.
«Die Toiletten hier sind sehr schlecht. Sie sind alle verstopft, weil wir kein Wasser haben», sagt Aya Ibrahim (43), die mit ihren Kindern in einer von der Uno betriebenen Schule untergebracht wurde, zur «New York Times». Die Zustände in dem Camp seien grauenhaft. «Der Gestank bringt uns um.»
Ähnlich klingt es auch aus anderen Flüchtlingsunterkünften. «Alle Kinder hier sind krank und haben Durchfall und Bauchschmerzen», berichtet der 39-jährige Ahmed Khaled, der mit seiner Familie ebenfalls in einem Uno-Schulkomplex Zuflucht gefunden hat.
Ob sie aber noch am Leben sind, ist nicht klar. Vor rund einer Woche wurde die Schule im nördlichen Teil des Gazastreifens bombardiert. Das Überleben in dem Gebiet ist zu einer lebensgefährlichen Vollzeitbeschäftigung geworden. (ced)