Während der zweite Kriegswinter bald kommt, schafft Kremlchef Wladimir Putin (70) in der Ukraine eiskalte Fakten. Die schweren russischen Luftangriffe haben nach Angaben aus Kiew seit Montag rund 30 Prozent der ukrainischen Energieinfrastruktur getroffen. Es sei das erste Mal seit Beginn des Krieges Ende Februar, dass Russland die Energieinfrastruktur «auf dramatische Weise ins Visier genommen» habe, sagte der ukrainische Energieminister Herman Haluschtschenko (49) dem US-Sender CNN am Dienstag.
In der ukrainischen Hauptstadt Kiew sinken die Temperaturen nachts auf teilweise unter fünf Grad, in Donezk, der Hauptstadt der gleichnamigen Separatisten-Oblast, beträgt die Nachttemperatur aktuell sogar nur zwei Grad.
Gegenüber «Bild» erklärt der deutsche Osteuropaforscher Andreas Umland (45): «Was wir sehen, ist eine Strategie, um einen russischen Diktatfrieden zu erreichen und einen erneuten Winterkrieg zu vermeiden.» Putin wolle so die ukrainische Bevölkerung zwingen, «die eigene Regierung zum Einlenken zu bewegen», so der Experte.
Selenski ruft zum Stromsparen auf
Umland fasst den Gedanken Putins zusammen: «Entweder ihr gebt die von uns annektierten Gebiete auf, oder wir bomben euch in den Kältetod.» Bereits jetzt ruft der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (44) die ukrainische Bevölkerung dazu auf, auf den Stromverbrauch zu achten und insbesondere während der Spitzenlastzeiten am Abend die Nutzung zu reduzieren, um das Stromnetz nicht zu überlasten.
Ein Mitglied des Rates für interethnische Beziehungen des Kremls, Bogdan Bezpalko, bestätigte diesen Verdacht am Dienstag im russischen Fernsehen: «Wir müssen die ganze Infrastruktur der Ukraine zerstören – alle Kraftwerke, alle Stromlinien, alle Eisenbahnknotenpunkte. Dann wird die Ukraine in Kälte und Dunkelheit versinken.» Nur so könne man sicherstellen, dass die Ukrainer ihre Truppen an den Fronten nicht mehr beliefern kann.
Ukraine bittet erneut um Luftabwehrsysteme
Als einen weiteren Grund für die Angriffe sah Haluschtschenko, dass ukrainische Stromexporte den europäischen Ländern helfen würden, weniger russisches Gas und Kohle nutzen zu müssen. Das ukrainische Energiesystem sei «immer noch stabil». Er forderte allerdings andere Länder auf, «Luftabwehrsysteme bereitzustellen, die uns wirklich helfen könnten, unsere Infrastruktur zu schützen».
Auch der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko (51) bat um solche Systeme, wie er «Bild» sagte. «Wir kämpfen dafür, dass wir den Menschen auch im Winter Elektrizität, Wasser, Heizung liefern können.» Es bestehe die Gefahr, so Klitschko, dass Kiew und andere Städte im Winter ohne Heizung und Wärme dastehen könnten. Der ehemalige Boxweltmeister zu der Zeitung: «Das Risiko besteht durch die Raketenangriffe. Darum bitten wir unsere Partner um spezielle Anti-Raketen-Systeme.» (chs/SDA)