Auf einen Blick
Drei Jahre, vier Hurrikane, 160'000 Dollar in den Sand gesetzt für dieses Gehütt, das da jetzt zerstört vor ihnen steht, ja eigentlich eher liegt: Winnie (69) und Don Michael (69) habens gesehen mit Florida. «Wir sind zu alt, um das nochmals durchzustehen. Wir flicken das Nötigste zusammen, schmeissen das Haus für einen Spottpreis auf den Markt und hauen ab», sagt Don. «Ein zweites Mal lasse ich mir nicht das Herz brechen!»
Hurrikan Milton hat die Häuschen hier am Palm Air Drive in Osprey übel zugerichtet. Im einst schmucken Dorf südlich von Tampa mit paradiesischem Strand und zufriedenen Rentnern, die hier – ohne Steuern auf ihre Rente zahlen zu müssen – den tropischen Lebensabend geniessen wollten, liegen Möbel in den Gärten, Dächer am Boden und ganze Fassaden quer über der Strasse.
Die umgekippten Palmen haben die Katastrophenhelfer bereits zurechtgeschnitten und fein säuberlich entlang der Strassen aufgehäuft. Der Wasserpegel hat sich auf sein normales Niveau abgesenkt. Miltons gefährlichste Nebenwirkung aber ist noch längst nicht überstanden.
Von einem Jahrhundertsturm hatten die Meteorologen Anfang Woche noch gewarnt. «Ihr habt die Wahl: Geht weg oder sterbt hier», liessen die Behörden die rund drei Millionen Bewohner rund um Tampa wissen. Die grösste Evakuation in Floridas jüngerer Geschichte hat sich ausbezahlt: 17 Menschen starben, deutlich weniger, als die Horror-Szenarien mit Tausenden Toten prophezeit hatten.
Kein Rotlicht und viel Verschwörung
Zwölf Stunden standen Don und Winnie Michael auf ihrer Flucht vor dem Monstersturm im Stau. «Erst weit oben im Norden Floridas fanden wir ein Hotel, das noch ein Zimmer für uns frei hatte.» Währenddessen fegte Milton mit 150 Stundenkilometern über ihre Heimat hinweg.
Millionen Haushalte sind auch drei Tage danach noch ohne Strom und Wasser. Die Lichtsignale an den Strassenkreuzungen funktionieren nicht. Verkehrstafeln, Leuchtreklamen von Fastfood-Ketten und Strassenschilder liegen kreuz und quer in der Landschaft. Überall sind Kranen und Bagger im Einsatz, koordiniert von der amerikanischen Katastrophenhilfe Fema.
Florida war gut auf die Katastrophe vorbereitet. Auch, weil man nach dem Hurrikan Ian vor zwei Jahren viel investiert hat: Hochspannungsleitungen wurden in den Untergrund verlegt, neue Dämme errichtet, Strassenlaternen mit Beton verstärkt.
Gegen die gefährlichen Desinformationskampagnen, die im Nachgang von Hurrikan Milton über Florida und das ganze Land hinwegschwappen, nützen diese baulichen Massnahmen allerdings wenig. Der Sturm sei keine natürliche Erscheinung, sondern ein künstlich kreiertes Monstrum, das die eher republikanischen Bewohner entlang von Floridas Golfküste vertreiben und den Staat wieder ins demokratische Lager bugsieren sollen – so klangen rechtsradikale Kreise rund um die Republikanerin und als Verschwörungstheoretikerin bekannte Marjorie Taylor Greene (50). Präsidentschaftskandidat Donald Trump (78) griff die wirre Idee auf und verbreitete sie an seinen Rallyes.
Und noch eine zweite Fiktion macht ihre Runden. «Die Katastrophenhelfer unterstützen Migranten ohne Pass, bevor sie uns Amerikanern helfen», erzählt Ryan Bressler (35) über seinen Gartenzaun hinweg. Der junge Familienvater steht vor seinem mit Holzbrettern verbarrikadierten Haus in Vamo, südlich von Tampa. Hund Peanut bellt den Reporter an. Und Bressler wischt sich den Schweiss von der Stirn. Es ist schwül. Der Garten überhäuft mit Ästen und geknickten Bäumen.
DeSantis weiss, wie man aus Milton politischen Profit schlägt
Die Geschichte über die Katastrophenhilfe und die Migranten hält sich hartnäckig in den sozialen Medien. Die Fema hat darauf mit einer eigenen Homepage reagiert: Auf ihrer «Hurricane Rumor Response»-Seite listet sie alle Gerüchte auf und erklärt, was daran falsch ist.
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Ryan Bressler zuckt nur die Schultern. Die Katastrophenhilfe hat er noch gar nicht kontaktiert. Erst mal selber anpacken. Und dann? «Wegziehen ist keine Option. Solange wir einen sicheren Rückzugsort haben, an dem wir beim nächsten Hurrikan mit den Kindern hinfliehen können, bleiben wir», sagt Bressler. «Wenns grad nicht stürmt, ist es das Paradies hier.»
Kamala Harris (59) und Donald Trump, der an der gegenüberliegenden Florida-Küste wohnt, sind bislang nicht hier aufgetaucht. Die Milton-Schäden böten eine ideale Kulisse, um sich als Helfer in der Not zu präsentieren. Doch die beiden Präsidentschaftskandidaten touren lieber durch die Swing-States, statt sich im heissen Südstaat den auf rund 100 Milliarden Dollar geschätzten Schaden anzusehen.
Nur einer weiss Hurrikan Milton politisch geschickt zu nutzen: Florida-Gouverneur Ron DeSantis (46), der sich dieses Jahr bei den republikanischen Vorwahlen aufstellen liess und als heisser Kandidat für das Präsidentschaftsrennen 2028 gilt. Er liess kurzerhand alle in Florida üblichen Autobahngebühren aussetzen. «Gebührenfrei», steht überall auf den Leuchttafeln entlang der Highways: «Auf Anordnung des Gouverneurs!»