Nichts wie raus! Die Regierungen der USA und Deutschlands haben ihre Landsleute aufgefordert, das Pulverfass Afghanistan so schnell wie möglich zu verlassen. Die deutsche Botschaft in Kabul warnt davor, dass sie keine Hilfe mehr leisten könne, wenn der Flugverkehr eingestellt werde.
Und Mitch McConnell (79), der republikanische Minderheitsführer im US-Senat, sagte über eine Evakuierung: «Wenn das nicht geschieht, könnten Al Kaida und die Taliban den 20. Jahrestag der Terroranschläge vom 11. September damit feiern, unsere Botschaft in Kabul niederzubrennen.»
Helfer in grösster Gefahr
Die USA und Deutschland haben Flugzeuge losgeschickt, um ihre Landsleute heimzuholen. Das Nachsehen haben all die vielen afghanischen Kräfte, die den westlichen Truppen in den vergangenen 20 Jahren bei der Arbeit geholfen oder wertvolle Informationen geliefert haben. So haben sie unter anderem als Spione vor Anschlägen der radikalen Taliban gewarnt und den Standort der islamistischen Kämpfer verraten.
Jetzt, wo die Taliban innert nur zehn Tagen rund die Hälfte der 34 Provinzhauptstädte im Expresstempo erobert haben und bald vor den Toren Kabuls stehen werden, werden die Helfer im Stich gelassen. Sie sind in grösster Gefahr.
In Häusern versteckt
Der deutsche Verein «Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte» setzt sich für die vom Tod bedrohten Afghanen ein. «Wir sind den Menschen gegenüber verantwortlich, die uns in Afghanistan unterstützt, geholfen und vertraut haben», schreibt der Verein, in dem sich aktive und ehemalige Soldaten engagieren.
Im Grossraum Kabul hat der Verein zwei Gebäude, die bisher von Diplomaten benutzt worden waren, in sogenannte «Safe Houses» umfunktioniert. In einem dieser «Sicheren Häuser» mit geheim gehaltenem Standort finden bis 100 Afghanen Schutz. Für die Sicherheit gibt es in den Gebäuden Bunker und Schleusen. Zudem werden sie von bewaffneten Sicherheitskräften bewacht.
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Qais Nekzai, der sich im Verein engagiert und selber Ortskraft in Kabul war, sagt gegenüber dem ZDF: «Diese Menschen dürfen die Gebäude nicht verlassen und warten nur darauf, dass die Bundesregierung einen Entscheid trifft. Wenn Kabul eingenommen wird, haben die Ortskräfte ihr Leben verloren.»
Spannungen in Berlin
Das Thema bringt Spannungen in die deutsche Regierung. CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet (60) kritisierte das Aussenministerium, das zu «bürokratisch» vorgehe. Er wolle dafür sorgen, dass die Afghanen sehr schnell nach Deutschland reisen könnten.
Seine Parteikollegin und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (59) stellte sich Laschet entgegen und sagte, dass man schnell eine Lösung finden wolle, das Problem aber bei der afghanischen Zentralregierung liege. «Die lässt niemanden ohne gültigen Reisepass ausreisen.»
Amerikaner senden 3000 Soldaten
Am Donnerstag haben die USA angekündigt, dass sie kurzfristig 3000 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan verlegen werden. Die Verstärkung soll dafür sorgen, dass das US-Botschaftspersonal sicher ausgeflogen werden kann. Zurzeit läuft eigentlich der Abzug der Truppen, der bis Ende August abgeschlossen sein sollte.
Von einer Evakuierung der bedrohten afghanischen Helferinnen und Helfer war keine Rede. Die bleiben weiterhin in den Safe Houses, bis man in Berlin oder Washington eine Lösung für sie gefunden hat. Für sie stellt sich nur eine Frage: Wer holt uns hier raus: die Deutschen, die Amerikaner oder die Taliban?