Show, Blamage, Sturm im Wasserglas? Experten über die Häme nach dem Angriff auf Israel
«Das nächste Mal wird der Iran härter zuschlagen»

Der Schlag gegen Israel hat zwar stattgefunden, doch konnten von den rund 300 iranischen Geschossen praktisch alle abgefangen werden. Wollte Iran wirklich nur bellen statt beissen? Wir erklären, warum Teheran nicht massiver zugeschlagen hat und was noch blühen könnte.
Publiziert: 16.04.2024 um 00:18 Uhr
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Aktualisiert: 16.04.2024 um 07:35 Uhr
Die israelische Abwehr funktionierte. Praktisch alle iranischen Geschosse konnten abgefangen werden.
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Guido FelderAusland-Redaktor

Die Häme über den iranischen Angriff auf Israel ist gross. Kommentatoren im Nahen Osten schreiben von «Blamage», «einer Show», einem «Sturm im Wasserglas» oder einem Angriff, bei dem nicht mal ein Hühnerstall getroffen worden sei.

Erwartet worden war ein massiver Schlag als Vergeltung auf die Bombardierung der iranischen Botschaft in Damaskus von Anfang April. Tatsächlich schickten die Iraner in der Nacht auf Sonntag 185 Drohnen, 36 Marschflugkörper und 110 Boden-Boden-Raketen ins rund 1700 Kilometer entfernte Israel los.

Doch der Schlag hatte keine grosse Wirkung: Nebst einem schwer verletzten Kind gab es am Stützpunkt Nevatim leichte Schäden. Haben die Iraner nur mit angezogener Handbremse zugeschlagen?

Die Operation unter dem Titel «Aufrichtiges Versprechen» war kein Überraschungsangriff. Offenbar hatte Teheran die USA sowie mehrere Nachbarstaaten zum Voraus über den bevorstehenden Schlag informiert. Weil die Geschosse zudem bis zum anvisierten Ziel mehrere Stunden in der Luft waren, gelang es Israel mit britischer, amerikanischer und jordanischer Hilfe, 99 Prozent aller Geschosse rechtzeitig abzufangen.

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Iran soll 185 Drohnen sowie weitere Geschosse nach Israel abgefeuert haben. Im Bild eine iranische Kamikaze-Drohne «Shahed-136».
Foto: DUKAS

Unterschiedliche Ansichten

Hussein Salami (64), Kommandant der iranischen Revolutionsgarden, sprach nach dem Angriff von einer «begrenzten Operation». Die Attacke hätte deutlich grösser sein können, «aber wir haben den Umfang der Operation auf den Teil der Einrichtungen beschränkt, den das Regime für den Angriff auf unser Konsulat genutzt hat.»

Der israelische Militärsprecher Daniel Hagari (48) hat die Aussagen, der Angriff des Irans auf Israel könnte eine Art geplanter Show ohne echte Schadensabsicht gewesen sein, jedoch vehement zurückgewiesen. «Ich glaube, der Iran wollte Ergebnisse erzielen und dies ist ihm nicht gelungen.»

Angst vor den USA

Wie sehen es neutrale Beobachter? Der deutsche Militärexperte Carlo Masala (56) von der Universität der Bundeswehr München vermutet, dass der Iran nur minimale Zerstörung habe anrichten wollen. «Der Iran hat nicht sein schweres Potenzial eingesetzt, das er durchaus hat, um massiven Schaden in Israel herbeizuführen», sagte er gegenüber br.de.

Nach dem Angriff verkündete Teheran, keine weiteren Schläge gegen Israel auszuführen, sofern Israel selber nicht zurückschlage. Masala geht davon aus, dass der Iran Angst vor einem amerikanischen Angriff hat, weil das Regime einen massiven Schlag mit schweren Verlusten wohl nicht überleben würde.

Test, um Reaktion zu sehen

Auch wenn der Iran mit angezogener Handbremse zugeschlagen hat, bezeichnet Ralph D. Thiele (70), Vorsitzender der deutschen Politisch-Militärischen Gesellschaft und Präsident von EuroDefense Deutschland, den Schlag als «bemerkenswertes Statement».

Thiele: «Dieser Angriff ändert nach dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 zum zweiten Mal die politische Statik im Mittleren Osten.» Israel müsse in Zukunft mit direkten iranischen Antworten auf seine Strafaktionen rechnen, und die arabischen Staaten hätten gesehen, mit welcher Wucht der Iran sie bestrafen könnte, wenn sie kein Wohlverhalten zeigten.

Der israelische Angriff dürfte auch ein Test gewesen sein. «Der Iran – wie auch Israel – wird detailliert auswerten, wie und wo der Angriff abgewehrt wurde und welche Quantitäten er beim nächsten Mal einsetzen muss, um durchzukommen.»

Meister im Raketenbau

Der Iran gilt in der Region als militärische Grossmacht. Beim weltweiten Vergleich der militärischen Stärke steht das Land im Global Firepower Index 2024 auf Rang 14, noch vor Israel (17), der Ukraine (18), Deutschland (19) oder Taiwan (24). Die Schweiz belegt in diesem Ranking Platz 43.

Kampfjets und Panzer stammen zwar zum Teil noch aus der Sowjetzeit, doch hat der Iran ein schnell wachsendes Arsenal von modernen Drohnen, ballistischen Raketen und Marschflugkörpern. US-Geheimdienste schätzen den Bestand allein von ballistischen Raketen mit grösserer Reichweite auf 3000 Stück. Ende 2022 hat der Iran erstmals eine Hyperschallrakete abgeschossen. Der Bau einer Atombombe dürfte kurz bevorstehen.

Thiele hält den Iran für einen «ausserordentlich klugen und auch verschlagenen Akteur». Er werde sich bei der Wahl dieses Angriffes etwas gedacht haben. Thiele ist überzeugt: «Das nächste Mal wird der Iran härter zuschlagen.»

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