Der Kampf um die Industriestadt Bachmut hat sich zur längsten und wohl tödlichsten Schlacht des seit einem Jahr andauernden russischen Angriffs auf die Ukraine entwickelt.
Ukraine-Präsident Wolodimir Selenski (45) räumt in der Nacht auf Donnerstag erstmals Schwierigkeiten ein. Aufgeben will aber keine der beiden Seiten – trotz prekärer Lage. Bis jetzt. Eine Übersicht über die Lage an der Front in Bachmut in fünf Punkten.
Die Frontlinie
Die ukrainischen Truppen sind in Bachmut faktisch eingekreist. Von drei Seiten werden sie von den Russen bedrängt. Nur gegen Westen bleibt eine Front noch offen. Wie lange noch – unklar.
Denn die russischen Truppen haben im letzten Monat grosse Fortschritte rund um die Stadt gemacht. Das zeigen Daten von der US-Denkfabrik Institute for the Study of War. Die Gegenschläge der Ukrainer sind demnach verschwindend klein.
Der russische Militärblogger «Milchronicles» spekuliert, dass die russischen Streitkräfte als Nächstes eine doppelte Umzingelung von Bachmut versuchen könnten. So würde die ukrainische Versorgungslinie im Donbass abgeschnitten werden. Das wäre wohl der Todesstoss für die ukrainische Defensive in Bachmut.
Die Stadt
Rund 70'000 Menschen lebten vor der Invasion in Bachmut. Bereits im Dezember waren nur noch rund 10'000 Personen da. Der Rest: Geflüchtet oder durch den Grabenkrieg umgekommen, schreibt das ukrainische Portal «LB» Anfang Jahr.
Die ukrainischen Truppen sagen, es sei schwer zu sagen, wie viele Zivilisten sich noch in Bachmut aufhalten, wobei die Schätzungen inzwischen bei 1000 bis 5000 liegen.
Die Stadt selbst wurde dem Erdboden gleichgemacht. Aufnahmen zeigen zertrümmerte Häuser, verschüttete Strassen, der Himmel ist grau und dunkel vom Rauch der brennenden Gebäude. Eine Geisterstadt.
Die Waffen
Der Kampf um Bachmut ist in eine heftige Materialschlacht ausgeufert. Täglich beschiessen sich die beiden Seiten mit abertausenden Geschossen. Aber auch die vom Westen gepolsterten Munitionslager der Ukraine sind nicht unendlich.
Dass das ukrainische Militär kaum mehr Munition hat, um sich in Bachmut gegen die Russen zu verteidigen, ist bekannt. Oleksij Resnikow (56), Verteidigungsminister der Ukraine, erklärte gegenüber EU-Kollegen: Kiew brauche pro Monat mindestens 250'000 155-Millimeter-Artilleriegranaten, um sich im Donbass gegen Russland verteidigen zu können. Die haben sie aber nicht. Und der Nachschub aus dem Westen lässt noch immer auf sich warten.
Die Soldaten
«Für mich ist das Wichtigste, dass wir unsere Soldaten nicht verlieren», sagte Selenski am Donnerstag. Und trotzdem beharrt die ukrainische Militärführung weiterhin darauf, die «Festung Bachmut» zu verteidigen. Die Stadt hat in den letzten Monaten aber nicht umsonst den morbiden Spitznamen «Fleischwolf» erhalten. Laut Schätzungen verlieren die Ukrainer dort 100 bis 200 Soldaten pro Tag, schreibt «The Guardian».
Einige ukrainische Kompanien haben laut «Welt» mehr als 80 Prozent ihrer Soldaten verloren. Um diese Lücken zu schliessen, muss die Ukraine mehr frische Reserven an die Front schicken. Allerdings fehlt es der Ukraine aktuell an gut ausgebildeten Soldaten. Wie viele Soldaten tatsächlich ihr Leben in Bachmut lassen mussten, teilt der ukrainische Staat nicht offiziell mit.
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Die Moral
In den vergangenen Wochen sind auf Tiktok Dutzende von Videos aufgetaucht, die von ukrainischen Soldaten in und um Bachmut gepostet wurden und in denen Selenski aufgefordert wird, den Rückzug anzuordnen. Das schreibt «The Guardian».
Ein Rückzug ist aber trotz schwindender Moral kaum möglich, zu gross ist die symbolische Kraft der kleinen Industriestadt. Die Ukraine hat Bachmut politische Bedeutung verliehen, indem Selenski die Stadt zu einem Symbol des Widerstands machte. Aus militärischer Sicht wird ein Rückzug aber wohl bald Realität werden müssen.
«Natürlich werden die Generäle vor Ort die richtigen Entscheidungen treffen, wenn die Gefahr besteht, dass wir unsere Leute verlieren, weil sie eingekesselt werden», sagt Selenski und spielt damit auf einen möglichen Rückzug an.