Wladimir Putins (69) Mission in der Ukraine verläuft für die russischen Truppen zwar harzig. Dennoch muss man davon ausgehen, dass sie dem Land grossen Schaden zufügen und es zu Teilen unter ihre Kontrolle bringen werden.
ETH-Experte Benno Zogg (32) erwartet, dass mindestens der Donbass in der Ost-Ukraine sowie die Landbrücke zwischen Russland und der annektierten Halbinsel Krim von Russen besetzt bleiben könnten. Zudem rechnet er mit der Einsetzung einer von Moskau aus gesteuerten Marionetten-Regierung in Kiew, sofern alles nach dem Drehbuch des Kremls abläuft.
Doch die Eroberung eines Landes ist das eine, es nachher unter Kontrolle zu halten, das andere. So warten auf den russischen Präsidenten im grössten Land Europas auch nach einem allfälligen Sieg grosse Probleme.
«Am einfachsten wäre es für ihn, wenn ihn eine freundlich gesinnte Bevölkerung erwarten würde», sagt der ETH-Experte zu Blick. Doch das dürfte nur an wenigen Orten der Fall sein, nicht einmal unbedingt im Donbass und in der Stadt Charkiw.
Auf lokale Eliten setzen
Um die besetzten Gebiete dauerhaft verwalten zu können, müsste Putin bei Politik und Polizei auf prorussische lokale Eliten setzen, meint Zogg. Gleichzeitig müsste Putin die Opposition aus dem Weg räumen. Zogg weiter: «Kiew-treue, westlich orientierte Personen sowie Menschenrechtsaktivisten würde er wohl verhaften.»
Als weiterer Schritt wären unfreie «lokale Wahlen» zu erwarten, mit denen Putin wie schon bei der Annexion der Krim die Eroberung legitimiert. «Dann würde er einen Repressionsapparat aufbauen, um die Leute ruhig zu stellen, die Grenzen zu sichern und um Sabotagen zu verhindern.»
Kommts zum neuen Afghanistan?
Die Befürchtung ist gross, dass sich die Ukraine in ein neues Afghanistan verwandeln könnte. Denn nach einer Besatzung wären Kleinkriege zwischen ukrainischen Rebellen und den Besatzern vorprogrammiert.
Ein Unterschied zu Afghanistan: Die Taliban wurden von niemandem mit modernen Waffen beliefert. Die ukrainischen Rebellen hingegen könnten auf moderne Ausrüstung aus dem Westen zurückgreifen. «Zudem hat sich gezeigt, dass der Widerstandsgeist der Ukrainer massiv ist», sagt Zogg.
Kiew hat jetzt noch etwas Zeit, sich auf eine solche dezentrale Kriegsführung einzustellen und Waffen von grossen Depots in kleine geheime Lager zu verteilen.
Ein solcher Widerstand entspräche nicht Putins Plan und würde enorm an den Kräften der Besatzer zehren. Zogg: «In der Ukraine könnten sich ein langer, hässlicher Krieg und Aufstand entwickeln.»