«Seit 82 Jahren lebe ich hier – es ist mein Leben»
Seniorin (85) muss ihr Haus an Holocaust-Opfer-Organisation abgeben

Drama um NS-Enteignung: Eine 85-jährige Deutsche verliert ihr Zuhause an eine Holocaust-Opfer-Organisation. Die ursprünglichen Besitzerinnen, zwei jüdische Frauen, wurden von den Nazis enteignet und in Auschwitz ermordet.
Publiziert: 17.12.2024 um 19:10 Uhr
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Gabriele Lieske und ihr Sohn Thomas Lieske verlieren ihr Grundstück und Haus.
Foto: rbb

Auf einen Blick

  • Familie muss NS-Raubgut-Haus räumen, 85-Jährige darf wohnen bleiben
  • Haus gehörte jüdischen Frauen, die im KZ Auschwitz ermordet wurden
  • Familie erfuhr erst 2015 von Ansprüchen, Rückkauf kostet 1,4 Millionen Franken
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Christina BenzRedaktorin News

«Seit 82 Jahren lebe ich hier, habe meinen Vater und meine kranke Mutter gepflegt. Das Haus ist mein Leben», sagt Gabriele Lieske (85) zu «Bild». 1939 kaufte ihr Grossvater das Grundstück und Haus, doch seit Mittwoch ist klar: Sie und ihr Sohn Thomas Lieske (61) verlieren es. «Das ist wie ein Albtraum», beschreibt die Seniorin die Situation. 

Der Grund für die Misere der 85-Jährigen: Die ursprünglichen Besitzer, zwei jüdische Frauen namens Helene Lindenbaum und Alice Donat, wurden von den Nazis gezwungen, ihr Hab und Gut zu verkaufen. 

«Um Überlebende der Shoah zu unterstützen»

Da die beiden Holocaust-Opfer keine Angehörigen mehr haben, muss die Familie Lieske ihr Grundstück und Haus an die Jewisch Claims Conference (JCC) übertragen, die offiziellen Rechtsnachfolger. «Die Claims Conference hat sich verpflichtet, rückübertragene Vermögenswerte zu veräussern, um mit den Erlösen weltweit verarmte und kranke Überlebende der Shoah zu unterstützen», teilt die Organisation «Bild» mit.

So erinnert man in der Schweiz an die Shoah

Bald soll in der Stadt Bern ein eidgenössisches Holocaust-Mahnmal stehen. Der Bund sprach dafür 2,5 Millionen Franken. Bisher gibt es zwar einige Dutzend kleinere Denkmäler, die an die Opfer der Judenvernichtung erinnern. Sie wurden aber primär auf private Initiative hin erstellt. Weiter erinnert die Dauerausstellung zur Schweizer Geschichte des Landesmuseums in Zürich an die Shoah, dies durch vier Video-Gespräche mit Holocaust-Überlebenden. Auch die Gamaraal-Stiftung tut dies unter: www.last-swiss-holocaust-survivors.ch.

Bald soll in der Stadt Bern ein eidgenössisches Holocaust-Mahnmal stehen. Der Bund sprach dafür 2,5 Millionen Franken. Bisher gibt es zwar einige Dutzend kleinere Denkmäler, die an die Opfer der Judenvernichtung erinnern. Sie wurden aber primär auf private Initiative hin erstellt. Weiter erinnert die Dauerausstellung zur Schweizer Geschichte des Landesmuseums in Zürich an die Shoah, dies durch vier Video-Gespräche mit Holocaust-Überlebenden. Auch die Gamaraal-Stiftung tut dies unter: www.last-swiss-holocaust-survivors.ch.

Lindenbaum und Donat betrieben in dem Haus in Wandlitz einen Privatkindergarten und eine Kinderpension sowie ein Waisenhaus. Beide Frauen wurden zwischen 1943 und 1944 im KZ Auschwitz ermordet, gemeinsam mit dem zweijährigen Erwin Berger, den die Frauen aufnahmen. Sein sechsjähriger Bruder Emanuel überlebte und schrieb später das Buch «Erinnerungen an eine Kindheit im Holocaust».

«Das Amt hätte uns informieren müssen»

Bereits 1992 und 1998 beantragte die JCC die Rückgabe des Grundstücks. Das Problem: «Davon wussten wir nichts», sagt Thomas Lieske zu «Bild». Erst 2015 erfuhr die Familie von den Ansprüchen auf ihr Haus, als ein Brief vom Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen bei ihnen eintrudelte.

Im Jahr 1994 beantragte die Familie sogar die Grundstücksübertragung beim Landkreis Barnim, von Gabriele Lieskes Mutter zu ihrer Tochter – eine Schenkung, die der Familie zum Verhängnis wurde.

«Das Amt Barnim hätte uns informieren müssen, dass Ansprüche auf das Haus bestehen. Dann hätten wir es zumindest für den damaligen Verkehrswert zurückkaufen können», so Thomas Lieske weiter. Dies wären damals etwa 400'000 D-Mark gewesen, rund 190'000 Franken. «Jetzt sind es 1,5 Millionen Euro (gut 1,4 Millionen Franken). Das können wir nicht.» 

«Lebenslange Wohnrecht für Gabriele Lieske»

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschied: Wenn ein Grundstück unentgeltlich weitergegeben wurde, schliesst das die Rückübertragung nicht aus, auch eine Schenkung gegen geringe Gegenleistungen. Die Situation wäre anders gewesen, wenn das Grundstück verkauft worden wäre. In diesem Fall wäre der Verkaufserlös den Berechtigten zugestanden.

Der Anwalt der Familie will den Fall weiter vor das Bundesverwaltungsgericht in Karlsruhe bringen. Aber egal wie das Gericht entscheidet, Gabriele Lieske darf in ihrem Haus wohnen bleiben, wie die JCC schreibt: «Das lebenslange Wohnrecht im Einfamilienhaus, das die Claims Conference Gabriele Lieske angeboten hat, bleibt auch nach der Rückübertragung weiterhin bestehen.»

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