«Der nackte Kaiser will bis zum Ende regieren, er hat sich an die Macht geklammert», sagte der Oppositionelle am Donnerstag nach einem Bericht des unabhängigen Internetsenders Doschd in einem Berufungsverfahren vor Gericht. Wenn Putin weiter regiere, werde zu einem bereits «verlorenen Jahrzehnt ein gestohlenes Jahrzehnt» hinzukommen.
Das Gericht bestätigte erwartungsgemäss eine Entscheidung gegen Nawalny von Mitte Februar wegen Beleidigung eines Weltkriegsveteranen. Demnach muss der 44-Jährige 850'000 Rubel (rund 10'000 Franken) Strafe zahlen – etwa das Doppelte eines durchschnittlichen Jahresgehalts in Russland. Seine Anwälte kündigten an, vor den Europäischen Menschengerichtshof zu ziehen.
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Abgemagert nach Hungerstreik
Nawalny wurde zu der Verhandlung per Video aus dem Straflager zugeschaltet – wenige Tage, nachdem er seinen Hungerstreik auf Anraten der Ärzte abgebrochen hatte. Es waren die ersten Bilder überhaupt seit seiner Inhaftierung vor gut 100 Tagen. Die Live-Bilder auf den Fernsehmonitoren zeigten ihn abgemagert und mit kahl geschorenem Kopf. Im Gerichtssaal sass seine Frau Julia.
Vom 31. März bis 23. April führte der Kremlkritiker den Hungerstreik durch. Wie «Meduza» berichtet, sagte Nawalny seiner Frau, dass er jetzt wie «ein Skelett» aussehe und 72 Kilogramm wiege – so viel habe er zuletzt in der Oberstufe gewogen.
«Unfähige Führung»
In seinem Schlusswort zeigte sich Nawalny gewohnt ironisch und sagte in Richtung Putin: «Ich möchte sagen, mein liebes Gericht, dass Ihr Kaiser nackt ist. Und nicht nur ein kleiner Junge schreit das herum, dass der Kaiser nackt ist.»
20 Jahre völlig unfähiger Führung hätten zu diesem Ergebnis geführt: «Es gibt eine Krone, die über die Ohren rutscht. Es gibt tonnenweise Lügen im Fernsehen. Und es gibt natürlich ein riesiges persönliches Reichtum.»
Polizei untersucht Graffiti-Fall
Hintergrund der Verurteilung war Nawalnys Kritik an einem Video, das das Staatsfernsehen im vergangenen Sommer ausgestrahlt hatte. Darin warben mehrere Bürger – auch ein 94-jähriger Veteran – für eine Verfassungsänderung, die der Sicherung von Putins Macht dient. Nawalny beschimpfte die Protagonisten auf Twitter damals als «Verräter». Das wurde ihm als Veteranenbeleidigung ausgelegt.
Zuletzt wurde in St. Petersburg ein Graffiti mit Nawalnys Porträt an eine Wand aufgemalt. Der Oppositionspolitiker lächelt darauf und formt mit seinen Händen ein Herz. Daneben steht geschrieben: «Ein Held der Neuzeit». Fotos davon gingen im Netz viral. Nur wenige Stunden später rückten bereits Arbeiter aus, um das Graffiti zu übermalen.
Jetzt läuft sogar eine Untersuchung! Die Polizei hat ein Strafverfahren wegen Vandalismus eröffnet, berichtet «Doschd». (man/SDA)